Verdrängt, vergessen, verloren

Zum Artikel "Viel Zuspruch für Aktion Vergissmeinnicht" (TV vom 13./14. Dezember):

Die Zunahme von Demenz Erkrankungen ist längst eine unübersehbare Herausforderung für unsere alternde Gesellschaft. Aktion "Vergissmeinnicht" klingt positiv, aber auch niedlich. Das "Vergessen" ist hier ein sehr aktiver Prozess. Viele verdrängen die Problematik. Wer sich dagegen engagiert, verdient um so höhere Anerkennung. Nebenbei entlastet er den Sozialstaat. Betreuung ersetzt aber nicht Behandlung. Die differenzierte Therapie von Demenz Erkrankungen, die oft mit anderen neuropsychiatrischen Leiden (Depressionen, Parkinsonsyndromen) einhergehen, fällt besonders in den Kompetenzbereich der Nervenheilkunde. Und sie ist zeitaufwendig. Dieser Zeitaufwand wird den Nervenärzten ab 2009 noch weniger vergütet. Sie gehören zu den realen Verlierern der jüngsten Honorarreform. 40 Euro pro Patient und Quartal müssen genügen. Wenn man sich nun auch "ehrenamtlich" mit Demenz Erkrankungen beschäftigt, droht einem die nächste Bestrafung. Man überschreitet bei Medikamentenkosten von 400 Euro plus x leicht sein Arzneimittelbudget und läuft Gefahr, von den Krankenkassen in Regress genommen zu werden. Rund 400 Euro kosten 100 Tagesrationen der "Gedächtnispillen". Etwa fünf Pharma-Unternehmen teilen sich den Markt, ohne dass Konkurrenz hier für Preis-Senkungen sorgen würde, im Gegenteil. Sie verdienen sich an einer guten Sache goldene Nasen. Während unsere Politiker sonst eine Regulierungswut an den Tag legen, halten sie sich bei dem Thema "Preisgestaltung von Medikamenten" lieber zurück. Wer nicht willens oder in der Lage ist, der Pharma-Indus trie Preissenkungen abzutrotzen, muss die Therapiekosten anders begrenzen, zum Beispiel indem er den Zugang zu dieser Therapie erschwert (siehe oben!). Dies offen zuzugeben, käme politischem Selbstmord gleich. Die Angehörigen von Demenzkranken kennen das Spiel oder lernen es spätestens kennen, wenn sie eine Pflegestufe beantragen. Trotzdem dürfen wir uns nicht entmutigen lassen.

Die Aktion "Vergissmeinnicht" ist super, man braucht ihr keine Aktion "Verkohltunsnicht" an die Seite zu stellen. Angehörige von Demenzkranken haben bei der Bundestagswahl unter Umständen nicht nur zwei, sondern vier Stimmen. Dies so zu formulieren, ist natürlich politisch nicht korrekt.

Michael Schönberger, Arzt für Neurologie und Psychiatrie/klinische Geriatrie, Konz

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