Verharmlosende Sprüche

Zu Artikel "Perverse Täter und blutjunge Opfer" und Kommentar "Spiegelbild der Gesellschaft" (TV vom 1. Dezember):

Im Zusammenhang mit dem Bericht über polizeiliche Fahndung nach Kinderpornografie im Internet vertritt Frank Giarra in seinem Kommentar sehr zu Recht die "Meinung", die Darstellung von sexuellem Missbrauch von Kindern im Netz sei pervers, abstoßend und widerlich. Doch wie kommt er dazu, uns Lesern weismachen zu wollen, dass die "Geschehnisse im Netz nur (!) ein Spiegelbild der Gesellschaft sind", wo doch nach eigener Sichtweise diese Dinge die Vorstellungskraft eines normal denkenden Menschen übersteigen? Die normal denkenden und sicherlich auch anständigen und rechtschaffenen Menschen (ich bin so frei und zähle mich dazu) bilden doch wohl schon immer und immer noch den weitaus überwiegenden Teil der "Gesellschaft". Sie haben mit den beschriebenen Verbrechen an Kindern nichts zu tun und mit den Tätern nichts gemein.

Ein "Spiegelbild" ist das von einem Spiegel oder ähnlichem reflektierte seitenverkehrte Bild (Duden, Das große Wörterbuch der deutschen Sprache). Es zeigt alles, was dem Original eigen ist und nichts, was das Original nicht hat. Der vom Schreiber gezogene Vergleich ist demnach unangemessen, deplatziert und empört mich zutiefst; er beleidigt fast die gesamte real existierende Gesellschaft. Im Übrigen wirkt er bezüglich der Ernsthaftigkeit des Problems und der Schwere der an Kinderseelen begangenen Verbrechen verharmlosend.

Bei allen möglichen Berichten über aufgedeckte Schweinereien und Skandale wird immer wieder, ob es passt oder nicht, der flotte Spruch vom "Spiegelbild der Gesellschaft" losgelassen. Als Leser würde ich mir wünschen, dass die Meinungsmacher im Gebrauch von Allgemeinplätzen und im Umgang mit flotten und verharmlosenden Sprüchen etwas bedächtiger und sorgsamer zu Werke gingen.

Christoph Wallenborn, Neroth

kinderpornografie

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