Wie bitte?!

Politik

Zum Leserbrief "Erstens Torheit, zweitens Rechtsbruch" und zu den Artikeln "Fallstricke für die Integration" sowie ",Er ist der geborene Handwerker'" (TV vom 4./5. März):
Herr Dr. Garbers schrieb: "Es dürfte außer Zweifel stehen, dass die einzige wirksame Waffe gegen den ungebremsten Strom von Wirtschaftsflüchtigen die schnelle und konsequente und ausnahmslose Abschiebung ist." Wie bitte?! Schon eine Maßnahme als "Waffe" zu bezeichnen, zeigt das Verständnisproblem dieser Aussage. Konsequent hingegen wäre eine schnelle und ausnahmslose Bekämpfung der Fluchtursachen, anstelle permanent über die Flüchtlingsströme zu philosophieren. Erschreckend ist zudem, wie der Begriff des Wirtschaftsflüchtlings als abwertende Beschreibung gebraucht wird, um die eigentlichen Fluchtursachen zu leugnen.
Viele Menschen werden weltweit ausgebeutet, ihre Wirtschaftssysteme zerstört. Daran trägt die EU, allen voran auch Deutschland, eine erhebliche Mitschuld. Vor allem afrikanische Länder wurden zu Freihandelsabkommen gezwungen. Für die europäischen Produkte eröffnete dies weitere Märkte, wohingegen die afrikanischen Produkte international kaum wettbewerbsfähig sind. Dies hat einen Einbruch der dortigen Industrie, inklusive Wegfall der Arbeitsplätze zur Folge. Überraschung: Es kann nicht jedes Land Exportweltmeister sein. Wenn wir Abfallprodukte der Fleischindustrie, teilweise hochsubventionierte EU-Agrar produkte, auf die afrikanischen Märkte liefern, zerstören wir den dortigen Agrarsektor samt Händlern, Märkten und bäuerlichen Existenzen. Oder wenn subventionierte europäische Fischereiflotten im Senegal ganze Fischbestände leerfischen, um den Luxus der westlichen Welt zu erhalten. Oder wenn wir auf dortige Landflächen zurückgreifen, weil uns unsere Flächen nicht mehr zum Anbau von Biokraftstoffen, Tiernahrung oder anderen Produkten ausreichen. In all diesen Fällen verarmt oder verhungert die dortige Bevölkerung. Die Menschen zieht es in die Städte, Bürgerkriege entstehen, und Menschen versuchen, diesem Elend zu entkommen.
Dafür tragen wir mit Verantwortung. Und die Verantwortung kann nicht darin bestehen, möglichst "schnelle und konsequente und ausnahmslose Abschiebung" zu fordern.
Matthias Heck
Bettingen

Es ist eine schlichte, übersichtliche Welt, die Dr. Garbers umreißt: Flüchtlinge kommen aus wirtschaftlichen Gründen in ungebremstem Strom. Man muss sie mit der einzig wirksamen Waffe bekämpfen, und das ist die sofortige Abschiebung. Diese Abschiebung, angeordnet durch die Bundesregierung, haben die Länder unverzüglich in die Tat umzusetzen, sonst begehen sie einen Rechtsbruch, ja gefährden gar den Rechtsstaat. Nicht nur das, die Länder verhalten sich sogar töricht, denn sie halten den dummen kleinen Nutzenoptimierer aus fernen Landen davon ab, zu den Waffen zu greifen und aus seinem Land endlich einen Hort der Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Sicherheit zu machen. Währenddessen haben wir freien Weg, endlich ein geregeltes Einwanderungsverfahren anzugehen.
Soweit der gedankliche Schattenriss. "Aha", möchte man sagen, "so einfach also, dass das noch keiner bemerkt hat!" Nun, es könnte daran liegen, dass daran nichts zu bemerken ist, außer, dass es Unsinn ist. Der Mensch ist kein Homo oeconomicus. Wenn man mit volkswirtschaftlicher Terminologie aus der Anfängervorlesung herumholzt, ist das Ergebnis Unsinn. Ein geregeltes Einwanderungsverfahren ist nicht abhängig davon, dass vorher alle ungeregelten Grenzübertritte rückgängig gemacht werden. Wenn man mit Fragen der Legislative und der Exekutive herumholzt, ist das Ergebnis Unsinn. Länder sind auch bei rein verwaltenden Tätigkeiten nicht die kadavergehorsame Exekutive der Bundesregierung. Wenn man mit den Grundlagen des Föderalismus herumholzt, ist das Ergebnis Unsinn.
Asylrecht kann nicht abhängig sein vom Alter und der "Waffenfähigkeit" der Antragstellenden. Wenn man mit der Auslegung der Grundrechte herumholzt, ist das Ergebnis Unsinn - bestenfalls.
Nach der Logik von Dr. Garbers ist es irrelevant, ob der junge Schreinerlehrling aus Afghanistan bei seinem Ausbildungsbetrieb ein hochgeschätzter Azubi ist, die Diskussion darum ist "Gezeter", und der junge Mann wäre abzuschieben mit dem Auftrag, sich in Afghanistan bei der Polizei oder dem Militär zu melden, weil wir Deutschen ja schließlich nicht auch noch am Hindukusch für Recht und Ordnung sorgen können. Mit einem unterkomplexen Weltbild kann man eben keine komplexen Probleme lösen.
Anja Bilstein
Prümzurlay

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