Zurück zum perfekten Warnsystem

Ein wenig schmunzeln muss ich heute immer noch, wenn ich an einen Betriebsausflug denke, der gut ein halbes Jahrhundert zurückliegt. Wir Mädchen nahmen die ganze Breite des Bürgersteigs in unserem Zielort in Anspruch und hatten uns - wie immer - viel zu erzählen.

Eine unserer jüngsten Kolleginnen hörte offensichtlich fasziniert zu, und schon wäre es - fast - passiert. Sie hielt den Kopf gesenkt und hatte ihn, der da so plötzlich vor ihr aufgetaucht war, völlig übersehen. Um Haaresbreite konnte sie, durch den rettenden Eingriff ihres Reaktionsvermögens, einen Frontalzusammenstoß verhindern.
"Oh, Entschuldigung!" schoss es aus dem höflichen Mädchen heraus, obwohl beide zum Glück ganz ohne Beule davongekommen waren. Aber den beinahe Angerempelten interessierte es überhaupt nicht. Er stand nach wie vor stumm und steif im Weg, als hätte er dort Wurzeln geschlagen.
Wir alle waren natürlich Zeugen dieser kleinen Szene und begannen, wie auf ein geheimes Kommando, plötzlich herzlich zu lachen. Was es da zu lachen gab? Na, nicht jeder entschuldigt sich so nett wie sie - bei einem Laternenpfahl. Aber mit gesenktem Kopf seines Weges zu gehen empfiehlt sich heute, im Zeitalter der unverzichtbaren Handykommunikation, noch viel weniger als je zuvor. Eine Ampel lässt ihre rote Warnfarbe eben nicht in niederen Ebenen erstrahlen. Mancher allzu sorglose Mitmensch eilt fast taub und blind durch die Gegend, weil Kopfhörer und Handy nahezu jeden Kontakt mit der realen Umgebung verhindern. Dabei hat die geniale Erfindung dieser "allzeit Bereiten" durchaus bewundernswerte Eigenschaften - aber immer nur zur rechten Zeit und am rechten Ort.
Ganz mühelos gleitet beim Handy der Daumen über das handtellergroße Tastenfeld und sofort purzeln, wie von Geisterhand, die gewünschten Buchstaben aufs beleuchtete Display und formen sich zu - mehr oder weniger - wichtigen Mitteilungen. "Bin gut gelandet!" so heißt es da, vor wenigen Minuten am weit entfernten Flughafen eingetippt und bereits in der Heimat angekommen. Eins darf natürlich nicht fehlen. Doppelpunkt, Gedankenstrich und Klammer-zu-Zeichen, fertig ist das Lachgesicht :-) Eine kleine Drehung der kleinen, ganz privaten Telefonanlage, und die Familie zu Hause kann erleichtert aufatmen.
Für mich ist es immer noch faszinierend zu sehen, was dieser kleine Computer alles kann. Allerdings zerstört jenes Meisterwerk der Technik auch oft unser angeborenes, perfektes Gefahrenwarnsystem. Dabei ist es so leicht wieder zu aktivieren, indem man das kleine Biest ganz einfach einmal ausschaltet. "Vorübergehend nicht erreichbar!" lautet dann die kurze Information an das andere Ende der unsichtbaren Verbindungskette.
Und hoch erhobenen Hauptes ist es wieder möglich, die lange nicht mehr bewusst wahrgenommene Schönheit der Umgebung neu zu entdecken und schmunzelnd zu denken: " Nun, mein Freund, du bist mir ja lieb und vor allem - teuer. Aber du wirst mich nicht dazu bringen, dass ich mich für einen Zusammenstoß entschuldigen muss - und schon gar nicht bei einem Laternenpfahl."

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