Reingelesen: Ulrich Woelk "Pfingstopfer"

Die Tote liegt nackt, mit obszön gespreizten Beinen, auf einer Relieftafel im Park des Gemeindehauses, in dem eine Freikirche ihre Gottesdienste abhält. Ein fachmännisch ausgeführter Schädelschnitt lässt auf einen Profikiller schließen - einen Mörder mit medizinischen Kenntnissen, der seinem Opfer ein wenig Gehirn entnommen und dafür einen Zettel implantiert hat.

Reingelesen: Ulrich Woelk "Pfingstopfer"
Foto: (g_kultur

Darauf die Bibelworte "Die Wahrheit wird euch freimachen". Ein Fall für Anton Glauberg, Kriminalbeamter in der schleswig-holsteinischen Flachlandschaft 20 Kilometer von Husum entfernt. Der hat eigentlich schon genug Stress: Seine Frau wird wegen Depressionen in einer psychiatrischen Anstalt behandelt, sein Sohn dealt mit Rauschgift und soll deshalb von der Schule fliegen, eine ehemalige Kollegin aus BKA-Zeiten steht auf einmal vor seiner Tür, und seine Katze Jennie kotzt alles, was er ihr zu fressen gibt, wieder aus. Und jetzt auch noch dieser bizarre Todesfall, von dem bald klar zu sein scheint, dass ein religiöser Fanatiker dafür verantwortlich ist, der sich vorgenommen hat, alles Böse und jegliche Sünde dieser Welt - die ermordete Frau war Prostituierte - radikal auszumerzen. Es ist nicht Anton Glaubergs erster Auftritt als Kommissar, aber Ulrich Woelk hat sich viel Zeit gelassen, seinen Protagonisten für einen zweiten Mordfall ins Feld zu schicken. Genau 13 Jahre liegen zwischen "Die letzte Vorstellung" und "Pfingstopfer". Man kann sich Glauberg als eine norddeutsche Mischung aus den Romanhelden der schwarzen Serie, versetzt mit einer Prise Maigret, vorstellen, der sich im Trenchcoat durch das vernieselte Schleswig-Holstein bewegt und ein ziemlich einsamer Wolf ist. Daran ändern auch seine gelegentlichen Übernachtungen bei einer Prostituierten nichts, die ebenso wenig Nähe erträgt wie er selbst. Auch Glauberg gehört also zu jenen, die in den Augen des selbstgerechten Mörders getötet werden müssen, um die Welt zu einem etwas besseren Ort zu machen - und gerät daher prompt in dessen Fänge. Hätte er bloß auf seine Katze geachtet: Sie hatte ihm nämlich längst den entscheidenden Hinweis auf den Täter gegeben. "Ein Roman über religiösen Fundamentalismus, die neueste Hirnforschung und zwei Menschen auf der Suche nach ihrer Wahrheit", verspricht der Klappentext des Romans. Nun ja: Während Letzteres in der Tat für spannende und berührende Momente zwischen Glauberg und Paula sorgt, werden die erstgenannten Themen doch eher en passant behandelt und verlieren sich immer wieder im Nebel der nordfriesischen Landschaft. Immerhin läuft der Leser der Hauptfigur ziemlich lange auf der falschen Fährte hinterher - und obwohl das Suspense-Strickmuster ganz schön alt ist, sorgt es doch immer wieder für Überraschungen. Rainer Nolden Ulrich Woelk, Pfingstopfer, Deutscher Taschenbuch Verlag, 381 Seiten, 14,90 Euro

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