Mensch... Rainer Brüderle

Dass es Sie noch gibt! Ich bin richtig froh, mal wieder was von Ihnen zu hören. Dachte schon, Sie müssten Ihr Leben in pfälzischen Weinköniginnen-Jurys oder bei Veteranen-Kaffeekränzchen mit Hans-Dietrich Genscher und Walter Scheel fristen.

 Brüderle wird in seinem Buch auch selbstkritisch. Foto: K. Schindler/Archiv

Brüderle wird in seinem Buch auch selbstkritisch. Foto: K. Schindler/Archiv

Ein halbes Jahr haben Sie geschwiegen seit dem Debakel, in das Sie die FDP als Spitzenkandidat geführt haben. Respekt, so viel Selbstdisziplin hätte ich Ihnen gar nicht zugetraut. Okay, inhaltlich macht es keinen großen Unterschied, weil man auch vorher selten verstanden hat, was Sie sagen wollten. Aber irgendwie haben Sie doch gefehlt, zumindest als unterhaltsames Aperçu in all den Talkshows, die sich früher um Ihre Anwesenheit rissen.

Das muss jetzt alles ihr armer Kollege Kubicki machen. Ihre Parteifreunde hatten ja schon gehofft, Sie würden die Bildfläche auch weiterhin meiden, damit Christian Lindner, Deutschlands erste männliche Trümmerfrau, den liberalen Rest-Schutt in Ruhe aufräumen und den Wiederaufbau der FDP in die Wege leiten könnte. Aber nix da: "Jetzt rede ich", heißt das Buch, das Sie diese Woche auf den Markt werfen, vorgestellt ausgerechnet von Gregor Gysi, Ihrem alten liberalen Freund und Weggefährten. Heute wird es in Berlin präsentiert, bis dahin ist natürlich alles top secret - wenn man davon absieht, dass Ihr Verlag jedem Journalisten, der eine Computer-Tastatur von einem Taschenrechner unterscheiden kann, die wichtigsten Textauszüge vertraulich zugesteckt hat.

Deshalb wissen ja auch schon alle alles, was drinsteht. Zum Beispiel, wie die bösen Medien Sie reingeritten haben bei der Dirndl-Affäre mit diesem Journalisten-Mädel. Da lassen Sie mal ganz harmlos Ihren Altherren-Charme spielen, machen ein munteres Witzchen über die Oberweite, denken, die Dame sei vom selben Stern wie Sie. Aber die ist von einem ganz anderen Stern, nämlich dem aus Hamburg, und schon fallen alle über Sie her - wo Sie es doch gar nicht böse gemeint hatten. Alles eine Geschichte von Missverständnissen.

Wobei böswillige Beobachter die Parole ausgeben, das größte Missverständnis sei es gewesen, dass man Sie dermaleinst aus dem beschaulichen rheinland-pfälzischen Ambiente in die Bundespolitik beförderte, wo sie immer herumliefen wie ein Elwetritsch beim Opernball. Was? Sie wissen nicht, was ein Elwetritsch ist? Kann gar nicht sein. Das ist doch die pfälzische Sagengestalt schlechthin. Laut Lexikon ein komischer Vogel mit großer Klappe und lahmen Flügeln, der bevorzugt zwischen Rebstöcken lebt. Ah! Jetzt kommt's Ihnen bekannt vor? Hab' ich mir doch gedacht. Dieter Lintz

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