Abgehört vom Freund

Es ist ein Hohn. In Deutschland streitet man sich noch heftig über die Vorratsdatenspeicherung, also darüber, wie lange der Staat personenbezogene Daten speichern darf, da wird bekannt, dass wir längst in gigantischem Ausmaß von den Geheimdiensten der USA und Großbritanniens ausgespäht werden.

Die Informationen, die der ehemalige Geheimdienstmitarbeiter Edward Snowden scheibchenweise an die Öffentlichkeit lanciert, sorgen gerade weltweit für diplomatische Verstimmungen, in Europa - und da speziell in Deutschland - für helle Empörung. Seit der Bush-Administration ist es vorbei mit dem Grundsatz, dass Partner in der EU und der Nato sich nicht gegenseitig ausspionieren. Im Grunde aber wissen wir wenig. Der Spiegel berichtet, dass der US-Geheimdienst NSA monatlich rund eine halbe Milliarde E-Mails, SMS und Telefonverbindungen allein in Deutschland überwacht. Die Schnüffelei geht bis hinein in europäische Institutionen. Nach Angaben der New York Times werden in Amerika zudem schon seit Jahren sämtliche ein- und ausgehenden Briefumschläge fotografiert und die Daten von Sendern und Empfängern gesammelt. Am Donnerstag enthüllte die französische Zeitung Le Monde, dass Frankreich ähnlich wie der amerikanische Geheimdienst elektronische Kommunikation ausspioniert und jahrelang speichert. Die schiere Menge der gesammelten Daten, die technischen Möglichkeiten, sie zu verknüpfen und komplette Bewegungsprofile zu erstellen, sagen noch wenig darüber aus, welche qualifizierten Schlüsse aus der Überwachung gezogen werden, welche Verbrechen verhindert, welche anderen Spionageabsichten verfolgt werden, in welche Hände die Daten noch gelangen (könnten). Es ist schwer zu glauben, dass diese Kontrollwut allein der Terrorismusbekämpfung dient. Der deutschen Wirtschaft jedenfalls schwant, dass sie nicht nur Spionage aus China und Co., sondern auch aus den Reihen unserer Verbündeten fürchten muss. Noch unglaubwürdiger klingen die Versicherungen Barack Obamas, die Bedenken der Europäer ,,sehr ernst" zu nehmen, wie uns Bundeskanzlerin Angela Merkel wissen ließ. Wenn es ihm denn so ,,sehr ernst" wäre, würde ja ein in der Tat undurchsichtiger Whistleblower Snowden nicht als Amerikas Staatsfeind Nummer eins gejagt. Obama geht es bei seinen Beschwichtigungsversuchen vor allem darum, das gerade zur Entscheidung anstehende, gewinnträchtige Freihandelsabkommen mit der EU störungsfrei über die Bühne zu bringen. Und genau das wollen die europäischen Regierungen auch. Daher wirkt es auch eher wie eine Beruhigungspille, wenn sich demnächst Geheimdienstexperten aus den USA und Europa zum Dialog über Datenschutz, Persönlichkeitsrechte und die Überwachung von Nachrichtendiensten treffen werden. Denn das Misstrauen sitzt tief. Welche Enthüllungen erwarten uns noch? Man muss kein Verschwörungstheoretiker sein, um mit dem luxemburgischen Außenminister und Vizepremier Jean Asselborn zu fürchten, dass die jetzt bekannt gewordenen massiven Verstöße gegen Grundrechte gemeinsame Wertesysteme und damit demokratische Strukturen unterhöhlen.

Isabell Funk, Chefredakteurin

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