Aufbruch

Sein Vorvorgänger, Papst Johannes Paul II., hatte den Spitznamen ,,eiliger Vater", weil er viel reiste. Dieses Attribut aber passt weit besser zum neuen Pontifex Franziskus.

In nur einem halben Jahr Amtszeit hat der 76-Jährige so viele Gesten ausgesendet, Personalentscheidungen getroffen, Umdenkungsprozesse angeschoben und Strukturveränderungen im Vatikan eingeleitet, dass er damit auch Kritiker der katholischen Kirche beeindruckt. Seine harte Abrechnung mit der alten Garde des Vatikans, der er Selbstbezogenheit und Vernachlässigung der sie umgebenden Welt vorwirft, seine Kampfansage an die Fundamentalisten, aber auch seine Hinwendung zu denen, die bisher die moralische Autorität der Kirche zu spüren bekamen, seien es Homosexuelle, seien es wiederverheiratete Geschiedene oder Frauen, die abgetrieben haben - dies alles sind deutliche Zeichen für tiefgreifende Veränderungen. Zu Beginn konnte man Franziskus' eigene bescheidene Lebensweise, seine erste Reise zu den Bootsflüchtlingen nach Lampedusa oder seine Volksnähe ja noch für geschicktes Kirchenmarketing halten. Aber dieser Papst macht Ernst, wenn er eine arme Kirche für die Armen fordert. Erstmals legte diese Woche die skandalumwitterte Vatikanbank eine Bilanz vor. Zudem werden Geldwäschevorwürfe von einem externen Expertengremium geprüft. Das ist mehr Transparenz als je war. Erstmals hat ein Papst auch eine Kommission aus acht Kardinälen einberufen, die eine Reform der römischen Kurie vor-anbringen soll. In dem Tempo und mit dem Eifer, mit dem Franziskus den Modernisierungskurs angestoßen hat, werden Reformen natürlich nicht umgesetzt werden können. Das haben die ausgewählten Kardinäle vorsichtshalber bereits angekündigt. Und noch wurden ja auch keine Dogmen angetastet. Es ist auch nicht zu erwarten, dass der Vatikan über Nacht zum Hort der Wohlmeinenden wird. Da sind zu viele Pfründen zu verteidigen. Aber am Ende kommt es gar nicht so sehr darauf an, wie lange solche Erneuerungsprozesse dauern, sondern dass insgesamt ein anderer Geist durch die Kirche weht. Eine Kirche, die sich nicht mehr auf Moral verengt, sondern sich den Menschen des 21. Jahrhunderts öffnet.

Isabell Funk
Chefredakteurin

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