Das Kopftuch - mitten in der Gesellschaft

Der Streit geht quer durch Politik und Gesellschaft und hat hierzulande schon zahlreiche Gerichte beschäftigt. Aber auch Vertreter der unterschiedlichen islamischen Strömungen und Rechtslehren sind sich durchaus nicht einig.

Schreibt der Koran Musliminnen das Kopftuch vor? Ist das Kopftuch ein Symbol für die Unterdrückung und Herabwürdigung der Frau als Sexualobjekt oder ist es im Gegenteil Zeichen von Selbstbestimmung und Emanzipation, wie einige Kopftuchträgerinnen behaupten? Ist es ein frei gewähltes Utensil oder ein aufgezwungenes? Ist es Ausdruck von religiösem und/oder politischem Fundamentalismus oder lediglich persönliches Glaubensbekenntnis und Zeichen kultureller Identität? Diese immer wiederkehrende und meist hoch emotional geführte Debatte dreht sich in Wahrheit natürlich nicht um ein Stück Stoff. Sie dreht sich vielmehr um die Frage, ob in einem säkularen Staat wie Deutschland die selbst reklamierte Deutungshoheit einiger islamischer Verbände tatsächlich von der Religionsfreiheit gedeckt, oder ob sie nicht vielmehr Vorwand ist, Einfluss auf die Gesellschaft zu gewinnen. In acht Bundesländern - Rheinland-Pfalz gehört nicht dazu - dürfen Lehrerinnen und andere Mitarbeiterinnen des öffentlichen Dienstes wegen des Gebots der staatlichen Neutralität bei der Arbeit kein Kopftuch tragen. Die Privatsphäre ist davon natürlich nicht betroffen. In dieser Woche hat das Bundesarbeitsgericht ein Kopftuchverbot auch an kirchlichen Einrichtungen - in diesem Falle einem evangelischen Krankenhaus - bestätigt. Begründet wurde es mit dem Selbstbestimmungsrecht der Kirchen. Die Proteste kamen postwendend. Die Tracht muslimischer Frauen - sie reicht in unterschiedlich intensiven Verhüllungen vom Kopftuch bis zur Ganzkörperverschleierung, der sogenannten Burka - gilt bei den Kopftuchbefürwortern als Symbol der Sittsamkeit und soll ihre Trägerinnen vor der Gier der Männer schützen. Diese Theorie sagt freilich mindestens genau so viel über das Männerbild aus wie über die Stellung der Frau. Der Mann als grundsätzlich triebgesteuertes, unkontrolliertes und unbeherrschtes dominantes Wesen, dem das unverhüllte Objekt Frau ausgeliefert ist. Das Problem dabei ist, dass in der westlichen Hemisphäre diese Sichtweise gewöhnlich gleichgesetzt wird mit dem gesamten Islam, dessen Bandbreite in Wahrheit aber von der toleranten und Menschen zugewandten Lehre bis hin zum geschlossenen Fundamentalismus reicht. Zunächst ist die wie auch immer geartete Kleiderordnung eine innerislamische Angelegenheit. Kollidiert sie aber mit den Prinzipien eines demokratischen Rechtsstaats oder denen anderer Religionen, gehört die Debatte mitten in die Gesellschaft.

Isabell Funk, Chefredakteurin

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