Die Inszenierung nach der Tragödie

Nichts ist so fesselnd wie die Tragödien, die Schicksalsschläge, die die anderen treffen. Nationaltorwart Robert Enke hat seinen Tod auf verstörende Art öffentlich inszeniert.

Nicht einmal zwei Stunden später wurde getwittert, was das Zeug hielt. Die Nachricht von Enkes Freitod war längst in der Welt, längst hundertfach kommentiert, als sie von den klassischen Medien aufgegriffen wurde. In der Folge konnte sich tagelang niemand mehr diesem gewaltigen Pathos entziehen, das einen seelisch kranken Hochleistungssportler postum zum Helden stilisierte. Jedes intime Detail aus dem Leben eines zwar Bekannten, aber im Alltag eher Unauffälligen bekam plötzlich das Gewicht einer relevanten Neuigkeit. Genau hier wurden die Grenzen zwischen anteilnehmender Information und Sensationsheischerei überschritten.

Aber wer wollte sie denn nicht sehen, hören, lesen, die höchst privaten Bilder, Nachrichten und Reaktionen? Waren die fünf Millionen Menschen, die sich die Trauerfeierlichkeiten im Fernsehen anschauten, wirklich alles Trauernde, enge Bekannte, Freunde? Es ist noch gar nicht lange her, dass die halbe Welt wegen Michael Jacksons Tod in kollektive Hysterie verfiel oder der Amoklauf von Winnenden angesichts der hohen Zugriffsraten Internetserver lahmlegte und Einschaltquoten in die Höhe trieb. Es ist müßig zu fragen, was zuerst da war: die allumfassende mediale Präsenz oder das Bedürfnis danach. Es sieht vielmehr so aus, als würden sich Medienmacher und Mediennutzer immer weiter gegenseitig in die Höhe schaukeln. Kaum hatte vergangenen Dienstag Linken-Parteichef Oskar Lafontaine bekanntgegeben, er sei an Krebs erkrankt, wurde im Netz zigfach spekuliert, gebohrt, gemutmaßt, um welche Art von Krebs es sich handele. Die Frage ist nun auch beantwortet. Und? Bringt uns das weiter? Hilft es Oskar Lafontaine? Macht es überhaupt noch Sinn, im Web- und Blogzeitalter, in dem sich - für alle zugänglich - Information mit Indiskretion, Denunziation und Halbwahrheiten mischt, über journalistisches Ethos nachzudenken? Eindeutig ja und gerade jetzt.

Dass der Massengeschmack immer mehr Einfluss auf die Themenauswahl gewinnt, ist ja an sich nur ein Akt zunehmender Demokratisierung. Aber Einordnung, Aufarbeitung, Gewichtung und Analyse setzen seriöse Recherche und vorurteilsfreie Betrachtung voraus. Es ist heuchlerisch, Gefühlswogen zu kommentieren, die man selber produziert hat. So weit die Selbstkritik. Aber auch in den Medien bedingen Angebot und Nachfrage einander. Der Trierische Volksfreund berichtet täglich auf der Titelseite, welche Meldungen aus seinem Internetauftritt die größten Zugriffsraten hatten. Es sind - mit weitem Abstand - die Polizeinachrichten. Meldungen von Unfall, Tod und Verbrechen.

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