Die Welt betrifft uns

Es war nur eine kurze Episode. Flüchtlinge, die an Bahnhöfen willkommen geheißen wurden, Bilder von Flüchtlingsschicksalen, die die Welt beschämten und zu Tränen (aber leider nicht zu Taten) rührten.

Eine Kanzlerin, die gefeiert wurde für ihre Menschlichkeit. Solidarität und Humanität - das waren die Schlagworte des Sommers. Ausschreitungen und Brandanschläge gegen Flüchtlingsheime gab es zwar auch. Aber sie wurden gesellschaftlich zutiefst geächtet als das, was sie sind: Verbrechen. Wir freuten uns darüber, plötzlich rund um den Globus als das wahrgenommen zu werden, was wir schon immer sein wollten: die guten Deutschen. Die Ernüchterung kam schnell. Und was damals war, gilt heute als Gefühlsduselei. Die Kriege und Fluchtursachen hörten nicht plötzlich auf, als wir dachten, jetzt hätten wir aber bald mal genug Aufnahmebereitschaft gezeigt. Und Europa ist von einer einheitlichen Asylpolitik noch immer weit entfernt, auch wenn ein Kompromiss mit der Türkei, einem der größten Transitländer, mittlerweile möglich scheint. Aber Finanzhilfen für syrische Anrainerstaaten, auf die sich die Regierungschefs der EU-Mitgliedsländer im September geeinigt hatten, damit die Flüchtlinge nicht weiterziehen, sind laut EU-Kommission bisher kaum geflossen. Dabei fordert aktuell allein die Türkei bereits drei Milliarden Euro. Und vor allem die osteuropäischen Staaten sperren sich nach wie vor gegen eine gerechtere Verteilung der Asylsuchenden. In CDU/CSU schwillt der Widerstand gegen Kanzlerin Angela Merkel, deren ,,Wir schaffen das" mittlerweile von vielen in den eigenen Reihen eher als Provokation denn als Ermutigung verstanden wird. Als sie auch gesagt hat, dass sich Deutschland mit den Flüchtlingen verändern werde, hat sie wohl nicht den jetzigen Stimmungsumschwung gemeint. Befürworter einer offenen Asylpolitik werden zu weltfremden Sozialromantikern, ihre Kritiker zu Rassisten gestempelt. Beides ist ebenso pauschal, wie es falsch ist. Naiv war und ist es vielmehr zu glauben, dass Deutschland, der Exportweltmeister, der von der Globalisierung überproportional profitiert und seinen Wohlstand darauf gründet, in einer wirtschaftlich und digital vernetzten Welt voller Konfliktherde nur die Rosinen abbekommen würde. Die Welt verändert sich gerade radikal. Und uns sollte das nicht betreffen? Vielleicht ist es ja auch diese Erkenntnis, die mit so großer Wucht über uns hereinbrach. Ausgerechnet Rechtsextremisten, die wieder deutlich mehr Zulauf haben, fordern lautstark die Verteidigung unserer Werte, indem sie, wie letzten Montag in Dresden offen zur Schau getragen, Politiker am Galgen baumeln sehen wollen, Justizbeamte und Flüchtlingshelfer mit Mord bedrohen. Auf der anderen Seite beunruhigen uns Meldungen über Religionskonflikte, die in den Heimen ausgetragen werden. Oder überzogene Forderungen an das Gastgeberland. Wie diese Woche in Trier, als eine syrische Familie sich weigern wollte, eine große Wohnung gemeinsam mit zwei weiteren Asylbewerbern zu beziehen, weil es der muslimischen Ehefrau nicht zuzumuten sei, mit fremden Männern unter einem Dach zu leben. Dies in einer Situation, in der zahlreiche Flüchtlinge in Rheinland-Pfalz und anderswo in Zelten überwintern müssen. Die hierzulande selbstverständliche Religionsfreiheit schließt aber gerade das Religionsdiktat aus. Und doch: Reden wir uns nicht in Angst und Hoffnungslosigkeit hinein. Gerade wir, die pragmatischen Deutschen, können gestalten und sind ja trotz aller Schwierigkeiten schon mittendrin. Und manche Kommunen sind bereits über sich hinausgewachsen mit einem breiten Netzwerk bürgerschaftlichen Engagements. Am Freitag hat der Bundesrat schärferen Asylregeln zugestimmt. Die Länderchefs beteuerten: Wir schaffen es (noch). Mut gehört dazu und Entschlossenheit. Aber vor allem eine Bevölkerung, die begriffen hat, dass Veränderung Zukunft bedeutet.Isabell Funk
Chefredakteurin

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