Dieses anmaßende "Wir"

Während Flüchtlinge, die gerade Kriegsgräuel oder Verfolgung entkommen sind, in Deutschland ankommen, demonstrieren viele Menschen - angestachelt von Neonazis - gegen sie. Sie skandieren "Wir sind das Volk". Aber wer reklamiert eigentlich dieses "Wir" für sich?

Im Frühjahr und Sommer 1989, als der Mauerfall noch nicht absehbar war, flüchteten 350 000 DDR-Bürger meist über Ungarn und Polen nach Westdeutschland. Obwohl die Länder und Kommunen von diesem plötzlichen Ansturm überfordert waren, richteten sie in Windeseile Notunterkünfte ein. Die Neubürger, die Hab und Gut zurücklassen mussten, waren herzlich willkommen. Es war alles ein bisschen chaotisch damals, es war eine aufregende, es war eine gute Zeit. Das Schlüsselwort hieß Solidarität. Kurz darauf folgte die Wiedervereinigung und trotz mancher Irritationen, die auch aus der unterschiedlichen Sozialisierung der Menschen im geteilten Deutschland gewachsen waren, schafften es Ost und West gemeinsam, ein stabiles, wirtschaftsstarkes Land aufzubauen.

Heute haben wir wieder eine große Flüchtlingswelle. Die Menschen strömen nicht von der anderen Seite eines geteilten Landes zu uns, sondern von weit her nach Gesamtdeutschland. Sie sind gerade Kriegsgräuel oder Verfolgung entkommen. Bis Jahresende sollen es 200.000 sein.

Flüchtlingsunterkünfte gibt es unter anderem in Trier, eine weitere Aufnahmestation demnächst voraussichtlich in Hermeskeil, in Bitburg hat ein Hotelier ein Ausweichquartier angeboten. Überwiegend aber werden die Asylsuchenden auf die größten Bundesländer Nordrhein-Westfalen, Bayern und Baden-Württemberg verteilt. Am Ende wird nur ein Bruchteil von ihnen dauerhaft bleiben. Solange sie in ihrer Heimat bedroht sind, haben sie das Recht, hier zu leben. Das ist nicht nur eine moralische Selbstverständlichkeit, das ist in der Verfassung klar geregelt.

Ungeachtet dessen demonstrieren bereits seit Wochen in Dresden jeweils montags bis zu 15 000 Menschen gegen ebenjene Flüchtlinge. Das Virus Pegida (Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes) verbreitet sich darüber hinaus vor allem im Internet, bequem von der Couch aus gesteuert. Auch von Trier aus geistert ein Mini-Ableger durchs Netz.Angestachelt und angeführt von Neonazis, dem harten Kern der Bewegung, sind die Demonstranten und Sympathisanten meist gewöhnliche Biedermänner, geeint im Hass auf Fremdes, auf Politik und Medien, geeint in Vorurteilen und schlechter Laune. Solidarität gehört nicht zu ihrem Werte-Kanon, wenn sie "Wir sind das Volk" skandieren und Fakten und Argumente durch Stimmungen ersetzen.

Aber wer reklamiert eigentlich dieses ,,Wir" für sich ? Laut einer Studie der Robert-Bosch-Stiftung aus diesem Jahr wollen zwei Drittel der Deutschen Flüchtlingen helfen, über 40 Prozent würden Asylsuchende gerne näher kennenlernen. Insgesamt, so die Studie, sei die Aufnahmebereitschaft der Bevölkerung im Vergleich zu den 1990er Jahren, als kriegsbedingt die Zahl der Flüchtlinge aus dem ehemaligen Jugoslawien stark anschwoll, deutlich größer geworden. Das ,,Wir", das Pegida für sich beansprucht, ist also vor allem verlogen und anmaßend.

Die vielen Ehrenamtlichen aus den Zivil- und Kirchengemeinden, die Bewohner ganzer Ortschaften, die sich ohne viel Federlesens um Flüchtlinge kümmern, machen zwar keinen Krach, lösen aber Probleme, die die Unterbringung von Menschen aus unterschiedlichen Herkunftsländern natürlich mit sich bringt. Nebenbei zeigen sie, dass unser Land größer, großherziger und aufgeklärter ist, als ein paar Tausend Missmutige uns weismachen wollen.

Isabell Funk
Chefredakteurin

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