Doppelt verquere Logik

Was für eine verquere Logik. Der türkische Präsident Erdogan, der nach dem gescheiterten Putschversuch in Windeseile Säuberungsaktionen in nicht geahntem Ausmaß durchführt und sich jegliche Einmischung von außen verbittet, erlaubt sich gleichwohl, in andere Staaten hineinzuregieren.

Jüngste Anmaßung ist die Forderung, in Deutschland lebende Anhänger seines ehemaligen Intimfreundes und heutigen Erzfeindes Gülen, den er für den Putschversuch verantwortlich macht, an die Türkei auszuliefern. Beweise bleibt er schuldig.

Unionspolitiker wie der CDU-Innenexperte Wolfgang Bosbach oder der CSU-Generalsekretär Andreas Scheuer sprachen daher vielen aus dem Herzen, als sie die Pro-Erdogan-Demonstration, zu der an diesem Sonntag 30 000 Teilnehmer der türkischstämmigen Bevölkerung erwartet werden, als Import des innertürkischen Konflikts nach Deutschland kritisierten und am liebsten verbieten lassen wollten. Und spontan möchte man auch dem österreichischen Außenminister Andreas Kurz zustimmen, der Erdogan-Anhängern in Österreich empfahl, das Land zu verlassen, wenn sie sich dort für die türkische Innenpolitik engagierten.

Und doch ist auch das eine verquere Logik. Das Demonstrationsrecht und das Recht auf freie Meinungsäußerung sind in Demokratien wie Österreich oder Deutschland Grundrechte und nicht auf innerstaatliche Angelegenheiten beschränkt. Weltweite Kundgebungen gegen Kriege, gegen Terroristen, gegen das US-Gefangenenlager Guantánamo oder für globalen Klimaschutz usw. haben ja auch keinen nationalen Ursprung.

Man mag Sympathiekundgebungen für Erdogan widerwärtig finden. Der türkische Präsident verweist zwar, da frei gewählt, auch auf seine demokratische Legitimation. Dennoch scheint er sein Land gerade in strammem Tempo in die Diktatur zu führen. Trotzdem kann man seinen Anhängern, wenn man es anders als Erdogan ernst meint mit den Prinzipien der Rechtsstaatlichkeit, nicht verweigern, für ihre Überzeugung auf die Straße zu gehen.

Die Hetze von Pegida und Co., die die freie Gesellschaft verhöhnen und zerstören wollen, findet ja auch die Mehrheit der Deutschen abscheulich. Sie hält sie aus. Denn ein System, das seine eigenen Regeln aufweicht, schwächt sich selbst.

Die einzige Ausnahme, die das Gesetz für ein Demonstrationsverbot vorsieht, sind schwerwiegende Gefahren für die öffentliche Ordnung und Sicherheit.

Die könnte für die Erdogan-Demo in letzter Minute tatsächlich noch greifen. Aber ob nicht gerade dann Gewalt ausbräche, ist völlig offen.

Gleichzeitig muss man in einem der liberalsten und tolerantesten Länder der Welt, das Deutschland trotz aller Spannungen nach wie vor ist, auch nicht zu jeder Zeit alle Rechte für sich reklamieren. Schon gar nicht in einer so vergifteten Atmosphäre, wie sie einerseits zwischen der Türkei und Europa, andererseits zwischen den unterschiedlichen türkischen Strömungen selber herrscht.

Das gilt für alle, egal ob deutsch-, türkisch-, oder sonstwie stämmig.
Die angekündigte Großdemo ist eine üble Provokation. Aber grundsätzlich rechtsstaatliche Gepflogenheiten zu verteidigen die Pflicht aller wirklichen Demokraten.
i.funk@volksfreund.de

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