Gemeinsame europäische Werte?

Es war nur ein leises, dazu verspätetes Raunen, mit dem die Bundesregierung dem türkischen Präsidenten Erdogan im Satire-Streit begegnete. Deutschland und der EU ist der viel kritisierte Flüchtlingspakt mit Ankara zu wichtig, um ihn auf der Zielgeraden wieder zu gefährden.

Es bedurfte gar keiner vergleichsweise harmlosen Satire im NDR über Erdogans protzigen Lebens- und diktatorischen Regierungsstil . Vielmehr ist längst bekannt, dass die Meinungsfreiheit in der Türkei systematisch einschränkt wird und von einer unabhängigen Justiz keine Rede sein kann.

Erdogans wütender Versuch, nun durch politische Intervention auch Einfluss auf deutsche Medien auszuüben, mag lächerlich erscheinen, zeigt aber doch einmal mehr, mit welch unberechenbarem und offenbar größenwahnsinnigem Partner es die EU künftig zu tun haben wird.

Aber natürlich ist auch der lahme Verweis von Berlin und Brüssel Richtung Ankara auf nicht verhandelbare gemeinsame europäische Werte verlogen. Damit mag sich die EU schmücken. Gelebt werden sie deshalb noch lange nicht. In Wahrheit hätte die Europäische Union die Türkei gar nicht gebraucht, wenn sie sich in der Flüchtlingsfrage beispielsweise auf einen ihrer Werte besonnen hätte: Solidarität - leider Fehlanzeige.

Überdies schaut Europa seit Jahren zu, wie eigene Mitglieder, so die ungarische Regierung unter Viktor Orban, mit diversen Verfassungsreformen demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien wie Meinungs- und Pressefreiheit oder die Unabhängigkeit der Justiz aushöhlen. Die geplanten Notstandsgesetze sollen dort nicht nur der rigorosen Abwehr von Flüchtlingen dienen, sondern beschränken unter anderem auch die Versammlungs-, Demonstrations- und Reisefreiheit der einheimischen Bevölkerung. Diese Woche sicherte sich die Regierung obendrein den direkten Zugriff auf die Staatskasse am wichtigsten Kontrollgremium, dem Parlament, vorbei.

Die ebenfalls rechtsgerichtete neue polnische Regierung schlägt ähnliche Wege in der Beschneidung von Bürger- und Freiheitsrechten ein. Wie bereits in Ungarn sollen auch hier im Rahmen eines strengen Antiterrorgesetzes die Kompetenzen des Inlandsgeheimdienstes stark ausgeweitet werden.

Gerade wird unter anderem auf Betreiben der katholischen Kirche die Verschärfung eines ohnehin rigiden Abtreibungsgesetzes diskutiert, das beispielsweise auch den (heute noch erlaubten) Schwangerschaftsabbruch bei Vergewaltigung oder Inzest unter Gefängnisstrafe stellt.

Auf der anderen Seite verweigert sich die Regierung unter Berufung auf die Wahrung der christlichen Identität Polens der Aufnahme von Flüchtlingen aus Kriegs- und Terrorgebieten. Was für eine Bigotterie! Da fragt man sich, welches Gewicht das Wort von Papst Franziskus, der mit Blick auf Europa bei jeder sich bietenden Gelegenheit genau jenen Mangel an Hilfsbereitschaft und Menschlichkeit harsch verurteilt, in einer Hochburg des Katholizismus hat.

Es ist eine Sache, den türkischen Präsidenten Erdogan und seine fehlende Demokratietauglichkeit zu verurteilen. Aber man sollte es nicht mit einem Fingerzeig auf europäische Werte tun. Um die ist es gerade schlechter bestellt denn je.

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