Provinz in den Schlagzeilen

Zu Anfang ist es nur eine Notiz aus der Provinz im Süden Sachsen-Anhalts. Doch sie macht bundesweit Schlagzeilen.Der Ort Tröglitz, der gerade einmal 2800 Einwohner zählt, hat ein Nazi-Problem.

Sein ehrenamtlicher Bürgermeister trat jetzt zurück, weil er seine neunköpfige Patchwork-Familie vom braunen Mob bedroht fühlte. Der 46-Jährige hatte sich für die Unterbringung von Flüchtlingen in seiner Ortschaft eingesetzt.

Er sei von der Zivilgesellschaft und den Behörden allein gelassen und zur Zielscheibe rechtsextremistischer Umtriebe geworden, sagt er zur Begründung seines Rückzugs. Jetzt wachen auch Landes- und Bundespolitiker aus allen Parteien auf und reden davon, dass angesichts solcher Zustände ,,alle Alarmglocken schrillen" müssten. Dabei soll in Tröglitz, berichten örtliche Medien, schon wochenlang gegen eine Aufnahmestelle für Asylbewerber demonstriert worden sein.

Im Grunde sind die öffentlichen Betroffenheitsadressen nur Zeichen der Hilflosigkeit - ähnlich wie die Kommunikationsversuche einiger Politiker mit den Pegiden in Dresden und Leipzig. Auch diese Bewegungen gibt es nach wie vor. Im Unterschied zu den Anfängen schält sich mittlerweile allerdings der braune Kern immer deutlicher heraus. Vor zwei Wochen griffen Pegida-Demonstranten ein Protestcamp für mehr Rechte der Flüchtlinge auf dem Dresdner Theaterplatz an. Seit Beginn der Wutbürger-,,Spaziergänge" im Oktober hat sich nach Angaben der Behörden die Zahl ausländerfeindlicher Straftaten dramatisch erhöht. Waren es 2012 noch 24, wurden 2014 schon 150 gezählt, mit stark steigender Tendenz im letzten Quartal des vergangenen Jahres. Konfliktforscher sehen in Pegida auch den Nährboden für die vermehrten Übergriffe.

Vergangenen Montag bewarfen Neonazis in Dortmund einen Journalisten, der eine Demonstration vor einem Flüchtlingsheim fotografierte, mit Pflastersteinen und bedrohten ihn mit dem Tod. Am Donnerstag drangen ebenfalls in Dortmund Rechtsextreme in ein für Asylbewerber vorbereitetes Containerdorf ein und brüsteten sich im Internet mit Sprüchen, die auf die Vernichtungslager der Nazidiktatur anspielen.

Anfang Februar verwüstete ein Brandanschlag in einem kleinen Ort im Herzogtum Lauenburg bei Lübeck eine geplante Flüchtlingsunterkunft, im Dezember passierte Gleiches bei Nürnberg, In der Silvesternacht flogen Brandsätze gegen ein bewohntes Heim im sächsischen Freiberg ….

Da können doch nicht erst bei dem Rücktritt eines Bürgermeisters ,,alle Alarmglocken schrillen". Dabei ist es völlig in Ordnung, kritisch zu hinterfragen, wo und wie teilweise überforderte Kommunen Flüchtlinge unterbringen. Es läuft nicht immer alles reibungslos, aber vielerorts bemühen sich Verwaltungen nach Kräften um eine offene Aussprache, um Information und Transparenz.

Einschüchterungsversuche von Politikern und Amtspersonen dagegen, ob so platt wie in Tröglitz, oder so subtil wie in einem Hamburger Nobelviertel, wo Bürger im Januar ein Obdachlosen- und Flüchtlingsasyl vorerst verhindert haben, mögen sich in ihrer Methodik unterscheiden, nicht aber in ihren rassistischen Motiven.

Isabell Funk
Chefredakteurin

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