Reförmchen

Sie hat viel Applaus geerntet für einen Gesetzesentwurf, der all jene tief befriedigen dürfte, deren Gerechtigkeitsempfinden besonders getrübt ist, wenn es um Sozialausgaben für den unteren Rand der Gesellschaft geht. Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles will künftig EU-Bürgern ohne Arbeit erst nach fünf Jahren Sozialleistungen gewähren.

Das bedeutet: Wer aus der Europäischen Union im Rahmen der Freizügigkeit nach Deutschland kommt, muss für sich selber sorgen können. Damit soll verhindert werden, dass sich Menschen aus anderen europäischen Ländern nur deshalb bei uns niederlassen, um sich staatliche Unterstützung zu erschleichen. Gut und richtig so. De facto aber steigt laut Bundesagentur für Arbeit die Beschäftigung von EU-Ausländern ohnehin stark an, weil ihre Leistung gebraucht wird.

Und in der problematischsten Gruppe der Bulgaren und Rumänen arbeiten nach Angaben der Behörde von 135 0000 Hilfeempfängern 41 Prozent. Aber für einen Lohn, der nicht zum Leben reicht und daher mit öffentlichen Mitteln aufgestockt wird. Ob sich für deren Jobs, die höchstwahrscheinlich nicht zu den begehrtesten gehören, wohl andere finden ließen? Was sich an Nahles? Initiative so rechtschaffen und haushaltsbewusst anhört, ist aus tatsächlich im Vergleich zu anderen Posten gar kein so großer Wurf.
Regt sich eigentlich noch jemand auf über Steuerverschwendungen in zigfacher Milliardenhöhe?
Ob auf europäischer, nationaler, Länder- oder kommunaler Ebene, die Rechnungshöfe und der Steuerzahlerbund listen regelmäßig Fälle von Geldvernichtung auf, die häufig gerade einmal punktuell für Wallung sorgen oder ganz im Dunkeln bleiben. Im vergangenen Jahr bezifferten die Kassenhüter unsinnige Staatsausgaben auf gigantische 20 Milliarden Euro.

Man mag die Kostenexplosion bei jahrzehntelang dauernden Projekten noch einigermaßen erklären können und die Latte bei manchen Fehlausgaben tiefer hängen als die Kontrolleure vom Amt. Trotzdem versickern jährlich Unsummen in einem Morast aus mangelnder Kompetenz, Unvernunft, menschlichem Versagen, Kommunikationspannen, Korruption oder Prestigedenken.

Eines der krassesten Beispiele ist der BER, der Flughafen Berlin, von dem niemand so genau weiß, wann und ob er überhaupt jemals eröffnet wird. Hier haben sich die Ausgaben nach einer haarsträubenden Bankrottserie von geplanten zwei auf derzeit 6,5 Milliarden Euro hochgeschraubt. Vom Imageschaden oder den (auch materiellen) Auswirkungen auf die Infrastruktur der Hauptstadt ganz zu schweigen.

Regelmäßig bei der Bundeswehr gerügt werden nicht funktionierende Waffensysteme, für deren Nachbesserung Millionenbeträge ausgegeben werden. Das taugt gerade mal als Stoff für Satiresendungen. Diese Woche monierte der Bundesrechnungshof überdies, dass sich das Verteidigungsministerium bei 5200 Mitarbeitern zusätzlich Berater für 208 Millionen Euro eingekauft hat.

Auch beim Verteilen von EU-Geldern soll gewohnheitsgemäß geschlampt oder getrickst werden. Allein im letzten Rechnungsjahr ist laut Prüfbericht ein Betrag von 5,5 Milliarden Euro verbrannt worden.
Große Misswirtschaft, kleine Misswirtschaft. Es läppert und läppert sich.
Nahles' Vorstoß mag eine Gerechtigkeitslücke schließen. Bei nüchterner Betrachtung aber wird das große Geld woanders verpulvert. Ist das fair? Und vor allem: Wen kümmert's?

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