Schreib mal wieder

Es hat drei quälend lange Monate gedauert, bis sich in der Nacht zu Freitag die Parteispitzen von CDU, CSU und SPD in der Flüchtlingsfrage wieder zusammengerauft und auf das Asylpaket II geeinigt haben. Zeit, die die Nervosität auch in der Bevölkerung auf ein ungesundes Maß gesteigert hat.

Geradezu symbolhaft für das Schneckentempo, in dem die große Koalition vorankam, steht der Kommunikationsweg. Der gute, alte Brief feierte fröhliche Urständ. Angesichts der Flüchtigkeit des gesprochenen Wortes und der überbordenden, kaum noch fassbaren Mitteilungen über schnelle Informationskanäle, sollte Adressaten und Öffentlichkeit wohl klargemacht werden, Achtung, das hier in Papier Gemeißelte hat Gewicht, das ist besonders, das bleibt.

Anfang vergangener Woche erhielt Bundeskanzlerin Angela Merkel also Post. Von 44 Abgeordneten aus CDU und CSU. Die Botschaften waren in Moll gehalten. Die Kanzlerin möge doch bitteschön ihren bisherigen Flüchtlingskurs, also die Politik der offenen Grenzen, revidieren. Die hatte sie erst auf dem jüngsten CDU-Parteitag in Karlsruhe verteidigt und dafür in den eigenen Reihen viel Applaus geerntet. Vor sechs Wochen.

Post bekam daraufhin auch ein Mitunterzeichner des Protestschreibens, der CDU-Abgeordnete Christian von Stetten - aus seinem Schwäbisch Haller Kreisverband. Der Brief war ebenfalls nicht freundlich. Der ,,liebe Christian" solle gefälligst damit aufhören, dauernd die Kanzlerin anzugreifen und obendrein darauf zu verweisen, dass sein Wahlkreis hinter ihm stehe. Das tue der nämlich gerade nicht.

Dann wieder ein Brief an Merkel. Diesmal von der bayerischen Staatsregierung. Die Kanzlerin wusste schon vorher, was drinsteht. Das hatte ihr die CSU ja bereits vor einigen Tagen in Wildbad Kreuth gesagt. Eine Obergrenze für Flüchtlinge müsse her. Sonst erwäge Bayern eine Verfassungsklage. Pikanterweise gegen die Regierung, an der sie selbst beteiligt ist. Tusch. Diese Drohung brachte wiederum den Koalitionspartner SPD dermaßen in Rage, dass sich auch einige junge Sozialdemokraten gedrängt fühlten, der Kanzlerin einen Brief zu schreiben, einen Durchhaltebrief. Tenor: bloß keine Abweichung vom bisherigen Kurs. Merkel solle nötigenfalls von ihrer Richtlinienkompetenz Gebrauch machen.

Ja, man kann es Parteiengezänk nennen. Und die große Koalition fühlt sich ja selber unwohl mit dem Bild eines wild gewordenen Haufens , das sie wochenlang von sich abgegeben hat. Aber angesichts der Komplexität des Themas, angesichts der Eigendynamik, die es entwickelt, wäre es doch ungeheuerlich, wenn man sich nicht streiten, nicht ringen würde um ebenso vielschichtige Lösungen. Tatsächlich gefährlich und systemzerstörend sind doch vielmehr die, die einfache Antworten vorgaukeln - oder sich allzu gerne vorgaukeln lassen - auf Kriege, Flucht und weltweiten Terror.

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