Standpunkt: Opferrolle
Sie war Seiteneinsteigerin, wollte politische Kleinkariertheit überwinden und einen neuen Politikstil prägen. Sie ist gescheitert.
Gestolpert über eine falsche Entscheidung in einer Steuerangelegenheit, die bereits lange vor sich hinschwelte, von ihrem Vorgänger nicht gelöst worden war und nun offenbar schnell erledigt werden sollte. Damit wäre die Geschichte der Kieler Oberbürgermeisterin Susanne Gaschke, die diese Woche nach nur elf Monaten Amtszeit auf Druck von Politik und Medien zurücktrat, bereits erzählt. Denn aus Fehlern Konsequenzen zu ziehen, die bis hin zum Amtsverzicht führen können, ist in der Politik ja so ungewöhnlich nicht. Trotzdem machte der Fall Gaschke bundesweit die Runde — nicht des Anlasses wegen, der zwar kommunalpolitisch von Bedeutung war, aber außerhalb der Stadtgrenzen Kiels wohl kaum jemanden interessiert haben dürfte. Gesteigerte Aufmerksamkeit erregte vielmehr der Umgang der gelernten Journalistin mit der Affäre selbst und ihren Kritikern. Unerfahrenheit und Alleingänge hat man ihr vorgeworfen, mit einer gegen sie gerichteten ,,Hetzjagd" hat sie gekontert. Es ist völlig legitim, Auswüchse im Politik- oder Mediengeschäft anzuprangern. Wer aber, wie Gaschke, selbst Teil dieser Systeme ist beziehungsweise war, ist zwar auch auf dem Chefsessel nicht vor Ränken und In-trigen gefeit, dem steht es aber auch nicht gut zu Gesicht, sich in die Opferrolle zu flüchten. Es ist keine Schande, als Person des öffentlichen Lebens dem Druck, den ein hohes politisches Amt mit sich bringen kann, nicht standzuhalten. Aber eigene Verletzlichkeit und objektive Fehler damit zu begründen oder herunterzuspielen, dass ,,testosterongesteuerte Politik- und Medientypen" den Politikbetrieb prägten und deuteten, wirkt dann doch reichlich larmoyant. Das spielt genau jenen in die Hände, die immer schon wussten, dass Frauen für Spitzenpositionen nicht geeignet sind. Aber papperlapapp. Die einflussreichste politische Figur in Deutschland und Europa ist Kanzlerin Angela Merkel. Sie ist eine ausgewiesene Machtpolitikerin und übrigens auch Seiteneinsteigerin. Testosterongesteuert ist sie nicht. Die streitbare und häufig selbst attackierte Bundesministerin Ursula von der Leyen — testosterongesteuert? Die Länderchefinnen Hannelore Kraft, Malu Dreyer, Christine Lieberknecht und Annegret Kramp-Karrenbauer — testosterongesteuert? Sie alle und viele weitere Frauen in der Politik pflegen ihren individuellen Führungsstil, setzen sich mit Männern auseinander und, wenn nötig, auch gegen Männer durch. Sie können austeilen — und einstecken. Sie bestimmen die Spielregeln mit. Isabell Funk, Chefredakteurin