Standpunkt: Politische Hygiene

Petra Hinz. Seit den 1980er Jahren politisch aktiv, langjährige Bundestagsabgeordnete aus Essen.Wie die allermeisten Parlamentarier eine bekannte Größe im eigenen Wahlkreis, bundesweit aber unauffällig.

Bis jetzt herauskam, dass sie ihren Lebenslauf gefälscht, Abitur und akademische Ausbildung erfunden hat. Das ist an sich noch keine große Sensation, auch in anderen Berufen gibt´'s Betrug und Hochstapelei, die gewöhnlich, wenn sie auffliegen, mit der fristlosen Kündigung enden. Aber in der Politik läuft das anders. Einem gewählten Volksvertreter kann man das Mandat nicht entziehen. Es gehört dagegen zur politischen Hygiene, im Falle persönlicher Fehltritte selbst zurückzutreten. Erinnert sei an prominentere Vertreter ihrer Zunft, an Karl-Theodor zu Guttenberg, jeweils kurzzeitig Wirtschafts-und Verteidigungsminister, die Merkel-Vertraute und Bildungsministerin Annette Schavan oder die Vizepräsidentin des Europäischen Parlamentes, Silvana Koch-Mehrin.

Alle drei wurden überführt, in ihrer Doktorarbeit von anderen abgeschrieben zu haben. Alle drei nahmen ihren Hut. Petra Hinz aber zeigt Beharrungsvermögen. Auch wenn sie andere Ämter niedergelegt hat, will sie im Parlament bleiben. Ihre persönliche Integrität ist zerstört, ihre Glaubwürdigkeit dahin. Was also soll sie noch für ihre Wähler tun können? Und je länger sich die Diskussion um ihren Betrug hinzieht, desto mehr schadet sie dem ohnehin verbesserungswürdigen Ruf der politischen Kaste im Allgemeinen und dem der SPD im Besonderen. Die Erklärung liegt auf der Hand. Die Politik ist Petra Hinz' Brotberuf, eine andere berufliche Perspektive hat sie nicht. Und da zeigt sich der Fehler im System. Es gibt eine Reihe von Abgeordneten, die nie etwas anderes gemacht haben als Politik und existenziell von ihr abhängig sind.

Dabei ist die Idee einer parlamentarischen Demokratie eine ganz andere. Die Parlamente sollen sich zusammensetzen aus Vertretern aller sozialen Milieus, unterschiedlicher Bildungsgrade und Berufe, eben um die gesamte Bevölkerung zu repräsentieren und die heute vielfach beklagte Entfremdung der politischen Zirkel von den Bürgern zu verhindern. Die persönliche Tragik der Petra Hinz aber liegt darin, dass sie diese dünkelhafte Fälschung gar nicht nötig gehabt hätte. Wer über 30 Jahre lang in unterschiedlichen politischen Ämtern unterwegs ist und immer wiedergewählt wird, kann ja als Volksvertreter so unbegabt nicht sein. Und es ist schwer vorstellbar, dass die SPD der 1980er Jahre, die vor allem im Ruhrgebiet stark dem Arbeitermilieu verhaftet war, besonderen Wert auf akademisches Personal gelegt haben sollte. Isabell Funk, Chefredakteurin

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort