Standpunkt

Russland verbittet sich eine vertragswidrige Aufstockung der Nato-Truppen in Osteuropa, nachdem es mit der Annektierung der zur Ukraine gehörenden Krim gerade Völkerrecht gebrochen hat und wirft dem Westen eine unnötige Eskalation der Lage und eine Rückkehr zur Sprache des Kalten Krieges vor. Eine bemerkenswerte Interpretation.

Gleichzeitig findet Kreml-Chef Wladimir Putin besonders in Deutschland etliche Russland-Versteher, die das Selbstbestimmungsrecht der postsowjetischen Länder offenbar weniger ernst nehmen als die Gemütslage eines autokratischen Herrschers, der den Zusammenbruch der einstigen Großmacht UdSSR noch immer nicht verwunden hat.

Es ist befremdlich, dass der große politische Vordenker der Republik, Altkanzler Helmut Schmidt, beispielsweise mit Blick auf China die ,,besserwisserische" Einmischung des Westens - bei Menschenrechtsverletzungen etwa - gebetsmühlenhaft geißelt, für Putins militärische Übergriffe auf einen autonomen Staat aber Verständnis äußert. Weder ist sicher, ob die Ukraine, die sich unter ihrem gestürzten Staatschef Viktor Janukowitsch politisch immer stärker Russland angenähert hat, bei den für den 25. Mai angesetzten Wahlen tatsächlich Richtung Westen strebt, noch weiß man, ob der Kreml nicht versuchen wird, diese Wahlen zu verhindern oder zu manipulieren.

Die ukrainische Bevölkerung jedenfalls hat jedes Recht, selbst über ihr Schicksal zu entscheiden. Sicherlich braucht es zur Lösung des Russland-Ukraine-Konflikts Fingerspitzengefühl und maßvolle Reaktionen. Das kann andererseits aber nicht heißen, dass die westliche Allianz den Kotau macht vor einem Regime, das seine imperialen Phantasien unverhohlen auslebt. Deswegen sind Sanktionen richtig. Noch haben sie eher Symbolcharakter und veranlassen die russischen Machthaber zu öffentlich inszenierten Heiterkeitsausbrüchen.

Aber was, wenn nicht diese Krise, fordert die unbedingte Geschlossenheit des westlichen Bündnisses? Im besten Falle schweißt die russische Aggression nicht nur die EU-Staaten enger zusammen, sondern stärkt auch wieder das durch den gigantischen Abhörskandal der amerikanischen Geheimdienste abgekühlte Verhältnis zwischen Europa und den USA. Dann hätte Putin wirklich viel erreicht. Zu wessen Nutzen?

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort