Standpunkt

Die da oben, wir da unten, ist der gängige Spruch aller Politikverdrossenen. Das wissen natürlich auch die Politiker, die vor lauter Regieren oder Opponieren gern das gemeine Volk aus den Augen verlieren.

Zu groß ist oft der Zeitdruck des politischen Spitzenpersonals, um sich auf den ganz gewöhnlichen Alltag der Menschen einzulassen. Zu groß ist oft die Versuchung, die eigene Klientel zu bedienen, was Projekte wie beispielsweise das gerade wieder auf der Kippe stehende Betreuungsgeld beweisen. Da ist es keine schlechte Idee, dass die Regierenden sich mal wieder erden wollen und jenen zuhören, für die all die Gesetze und Verordnungen gemacht werden.

Bundeskanzlerin Angela Merkel und ihr Vize Sigmar Gabriel haben jetzt einen Bürgerdialog gestartet, der über Frühjahr und Sommer an 150 Orten der Republik fortgesetzt werden soll. Flankiert wird die Aktion von einer Ideensammlung via Internet. Wissenschaftler und Statistiker werten die Anregungen im Anschluss aus. Vorausgesetzt, es melden sich nicht nur die Lobbyisten und Interessenvertreter zu Wort, die sowieso immer mitreden, vor ausgesetzt, das Ganze ist keine reine Imagekampagne, sondern der ernsthafte Versuch, herauszufinden, was die Durchschnittsbürger umtreibt, dann sollte dieses Experiment nicht mit kleinlichen Vorbehalten kaputt geredet werden.

Ein Angehöriger, der einen Demenzkranken zu betreuen hat, hat sicherlich andere Sorgen und andere Erwartungen an die Politik, als Eltern, die sich gerade um die richtige Schule für ihre Kinder Gedanken machen. Sind es nicht die ganz persönlichen Lebensumstände, die uns wirklich bewegen? Für die die Politik immer wieder von neuem und im globalen Kontext einen Rahmen schaffen und die Gesellschaft einen Wertemaßstab finden muss? Gerade erst hat Bundesinnenminister Thomas de Maizière eine andere Tür aufgemacht und ein Klima der Maßlosigkeit und des Hasses beklagt, das nicht nur die Flüchtlingsdiskussionen begleite, sondern sich auch unter Hooligans im Fußball ausbreite oder jüngst zu gewalttätigen Exzessen bei der Eröffnung der Europäischen Zentralbank in Frankfurt geführt habe.

Das sind nur einige Beispiele. Recht hat er, wenn er zum umfassenden Diskurs darüber anregt ,,in was für einer Gesellschaft wir leben oder nicht zusammenleben wollen" und die Repolitisierung der breiten Masse fordert. Die meisten teilen doch das Unbehagen über eine Entwicklung, wie sie der Innenminister beschreibt. Die grassierende Unflätigkeit im Internet, Wut und Hetze auf der Straße gegen … ja wogegen eigentlich wirklich? Sind Frieden und Demokratie schon so langweilig geworden? Sind Drohungen, Schmähungen und Gewalt wohlfeiler Zeitvertreib? Wenn das neue Gesprächsangebot der Bundesregierung dazu führte, dass die viel beschworene Bürgergesellschaft wieder deutlicher sichtbar würde, als die, die ihr auf der Nase herumtanzen, wäre schon eine Menge erreicht.

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