Standpunkt
Arbeitsministerin Andrea Nahles ist gewöhnlich um steile Sätze nicht verlegen. Aber während ihr eigener Parteichef Sigmar Gabriel und andere Koalitionspolitiker den nunmehr achten Lokführerstreik seit September deutlich kommentieren, gibt man sich im Hause Nahles ungewohnt wortkarg.
Und das hat einen Grund. Denn die sonst so gewerkschaftsnahe Arbeitsministerin ist mit ihrem geplanten Tarifeinheitsgesetz, das bereits ab Juli in Kraft treten könnte, plötzlich wider Willen zum Liebling der Arbeitgeberseite aufgestiegen. Dieses Gesetz, gegen das die Opposition, aber auch einige Gewerkschaften schon im Vorfeld Verfassungsbeschwerde angekündigt haben, wird die Macht kleiner Spartengewerkschaften wie beispielsweise GdL, Pilotenvereinigung Cockpit oder die Vereinigung der Klinikärzte, den Marburger Bund, beschränken und deren Streikfähigkeit aushebeln.
Und genau das macht die GdL aktuell so wütend, genau deswegen sind die Tarifverhandlungen mit der Bahn eskaliert, genau deshalb wird jedes Schlichtungsangebot abgelehnt. Die Bahn hat natürlich, wie andere Wirtschaftszweige auch, ein großes Interesse daran, für eine Berufsgruppe einheitliche Tarifverträge auszuhandeln. Logisch, dass mit dem geplanten Gesetz nur die Gewerkschaften mit den meisten Mitgliedern zum Zuge kämen. Bei der Bahn ist das die Eisenbahnergewerkschaft EVG.
Eine 4,7-prozentige Gehaltserhöhung, plus 1000 Euro Einmalzahlung, plus Einstellung von zusätzlichen 300 Lokführern zum Abbau der Überstunden, die die Bahn mittlerweile bietet, wären in der derzeitigen Tarifauseinandersetzung ein respek tabler Abschluss, mit dem die Lokführer eigentlich zufrieden sein könnten. Aber die GdL muss wachsen, um überleben zu können. Aus diesem Grund beharrt sie, angeführt von Reizfigur Claus Weselsky, so hartnäckig auf ihrer Forderung, auch Rangierführer und Zugbegleiter zu vertreten und so idealerweise die EVG zu überflügeln.
Um die Ecke herum gilt dieser Streik also in erster Linie den Plänen von Andrea Nahles. Ironischerweise hat die aber erst an dem so heftig kritisierten Gesetzesentwurf gestrickt, nachdem die von vielen als maßlos empfundenen Streiks von GdL oder Cockpit die Mobilität der Republik erheblich eingeschränkt hatten. Es ist nicht ganz ausgeschlossen, dass die Regierung das Gesetzesvorhaben, gegen das es auch von Rechtsexperten erhebliche Einwände gibt, wieder zurückzieht.
Aber wie immer die Sache auch ausgehen mag: Als es um Mindestlohn oder Rente mit 63 ging, war Andrea Nahles gegenüber protestierenden Wirtschaftsvertretern und Arbeitsmarktspezialisten durchaus nicht maulfaul. Jetzt begehrt die eigene Klientel gegen sie auf. Und mit einer breiten parlamentarischen Unterstützung kann sie derzeit auch nicht rechnen. Linke und Grüne stampfen den Entwurf in Grund und Boden.
Und dem großen Koalitionspartner Union geht das Konzept nicht weit genug. Nahles sitzt plötzlich zwischen allen Stühlen. Da kann einen schon einmal der Mut an der eigenen Courage verlassen.