Von der deutschen Volksseele – und warum die erlebte Wirklichkeit anders ist

Da ging was ab, diese Woche. Experten, Analysten und Meinungsforscher überschlugen sich im Erforschen der deutschen Volksseele. Und da rumort es ja schon länger. Seit am vergangenen Sonntag die AfD aus dem Stand heraus die CDU rechts überholt hat – und das obendrein auch noch in der politischen Heimat von Bundeskanzlerin Angela Merkel – sind die Dämme gebrochen.

Die etablierten Parteien schieben sich gegenseitig den Schwarzen Peter zu, und die AfD kann sich zufrieden zurücklehnen. Deren Bundesvize Beatrix von Storch hat schon recht, wenn sie sagt: ,,Wir verändern die Politik bereits." Auf jeden Fall macht sie(nicht nur) die Politiker der Altparteien nervös.

Auf das Erstarken der Rechtspopulisten hat dann auch jeder seine eigene Antwort. Und dabei frisst Emotion auch gerne mal Logik. So ist für die Linke im Bund die soziale Kälte der großen Koalition in Berlin der Grund für den Rechtsruck oder das hohe Protestpotenzial. Wie erklärt sie sich dann, dass sie selbst mit -5,2 Punkten prozentual die höchsten Stimmenverluste in Meck-Pomm hinnehmen musste?

SPD-Parteichef und Vizekanzler Sigmar Gabriel setzte sich schon einige Tage vor dem erwarteten Wahlausgang in der zentralen Flüchtlingsfrage von der Kanzlerin ab. Sie habe neben ihrem Wir-schaffen-das-Mantra nie gesagt, wie man die Flüchtlingskrise bewältigen könne. Aber saß Gabriel nicht mit am Kabinettstisch, wenn über Flüchtlingsthemen, angefangen von Aufnahme, über sichere Herkunftsländer, Integrations- und Sicherheitsfragen, Terrorabwehr und anderes diskutiert wurde? War die SPD Merkel in der Flüchtlingsfrage nicht viel näher als die CDU-Schwesterpartei CSU?

Die wiederum bleibt bei ihrer Forderung nach Umsteuerung, die ja schon längst vonstattengeht und gibt das Motto aus: Deutschland muss Deutschland bleiben. Das klingt gemütlich, beruhigend. Aber nicht nach Zukunft. ,,Man muss sich immerfort verändern, erneuern, verjüngen, um nicht zu verstocken." Der Satz stammt nicht von Angela Merkel, sondern vom alten Goethe.

Derweil kursieren verschiedene Studien über den Gemütszustand der Bevölkerung, der zerrissener nicht sein könnte. 76 Prozent sagen, dass der Zuzug von Asylsuchenden ihr Leben nicht verändert habe, aber nur 46 Prozent glauben, dass das auch so bleibt (Emnid). Allensbach legt gleich zwei repräsentative Befragungen vor, eine zu Ängsten, eine andere zur Stimmungslage der 30- bis 59-Jährigen. Beide Studien sind geprägt von Pessimismus, obwohl es eine beständig wachsende Zufriedenheit mit der eigenen materiellen Lage und der Sicherheit am Arbeitsplatz gibt. Hier zweifeln 50 Prozent am Gelingen der Integration, dort fürchten sich 68 Prozent vor Fremdenfeindlichkeit. Auch wenn das Thema Flüchtlinge in der politischen und medialen Debatte nach wie vor besonders dominant ist, beklagt sich die mittlere Generation, also die Mehrheit der Steuerzahler, der auch die meisten Familien mit Kindern angehören, über mangelnde Gerechtigkeit und sorgt sich um den Zusammenhalt der Gesellschaft. Gleichwohl wollen sie, weil es ihnen selbst ja gut geht, keine Umverteilung von oben nach unten.

Ja natürlich, man kann sich mit einigem Recht empören über die Entrücktheit des politischen Spitzenpersonals. Und man kann sich auch neben vielen berechtigten Sorgen hineintreiben lassen in übersteigerte Ängste und Weltuntergangsstimmung. Das steht jedem offen. Aber man kann auch mal die Perspektive wechseln und sich daran orientieren, was gelingt, vor allem gelingt, weil Menschen nicht nur auf ,,die da oben" zeigen, sondern selbst etwas tun.
Und dann schaue ich mich um und denke, dass diese Gesellschaft nicht nur viel besser, sondern auch viel besser dran ist, als sie selber glaubt.

In Berlin mag das etwas anders aussehen als in der vergleichsweise beschaulichen Region Trier. Und doch ist das bürgerschaftliche Engagement in der Gesamtbevölkerung enorm. Ein Drittel arbeitet ehrenamtlich. Mit dem Zuzug der Flüchtlinge ist die Hilfsbereitschaft weiter gewachsen. Der Volksfreund berichtet regelmäßig von den zahllosen beeindruckenden freiwilligen Initiativen auf allen gesellschaftlichen Ebenen.

Selber mit anpacken ist sicher kein Allheilmittel gegen Welt- und Binnenkrisen oder individuelle Überforderung. Aber es hilft gegen Verdruss. Es formt und festigt die Gesellschaft von innen heraus.

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