Wer will denn nur spielen?

Zugegeben, ich habe einen schweren Defekt, der sich in den nächsten vier Wochen besonders unangenehm bemerkbar machen dürfte: Mir fehlt das Fußball-Gen. Das heißt, ich flippe nicht aus, wenn Bälle haarscharf am Tor (egal an welchem) vorbeifliegen, und erst recht nicht, wenn sie im Tor landen.

Das ist doch ihre natürliche Bestimmung. Ich halte es für hundsgemein, jemandem ein Bein zu stellen oder ein Foul hinterlistig vorzutäuschen. Da kann ich allerdings schon besser mitreden, denn dann ist Fußball wie das richtige Leben. Gesichts- oder Ganzkörperbemalung finde ich an Karneval origineller, und bei Massenräuschen oder nächtlichen Verkehrsblockaden mit aus den Autos baumelnden Fans krieg ich\'s mit der Angst. Aber beim Fußball, erst recht bei einer Weltmeisterschaft, ist alles normal, wofür man sonst eine Einweisung in die Psychiatrie riskieren würde. Deswegen muss ich mich beim Fußball auch von meinen Kollegen beraten und belehren lassen. Die machen das ganz gern. Als ich kürzlich im allgemeinen WM-Taumel, der auch die Redaktion ergriffen hat, den politisch korrekten Einwand wagte, dass die deutsche Frauennationalelf doch viel erfolgreicher Fußball spiele als die Männer, aber trotzdem kaum beachtet werde, schlug mir das geballte Mitleid meiner Mitarbeiterschar entgegen. Frauenfußball sei ja nicht wirklich Fußball. Obwohl die Spiele genauso aussehen und nach denselben Regeln ausgetragen werden. Obwohl die deutschen Frauen zwei WM- und acht Europameister-Titel abgeräumt haben. Obwohl sie sich genauso abrackern und man sie auf dem Platz von Männern kaum noch unterscheiden kann. Letzteres finde ich allerdings höchst bedauerlich. Aber meine Kollegen haben natürlich recht. Fußballfrauen pampert man nicht mit Millionengehältern, auch wenn die das sicher nicht rundheraus ablehnen würden. Für Frauen werden keine milliardenschweren Stadien unter äußerst fragwürdigen Arbeitsbedingungen gebaut. Sie dürfen sie großzügigerweise später wie die abgetragenen Kleider eines Geschwisterkinds nutzen. Fußballfrauen zeigen ihren Fans nicht den Stinkefinger (okay, schon länger her) und pinkeln auch nicht in Hotellobbys. Fußballfrauen wirft man keine bengalischen Feuer zwischen die Hacken, und ihre liebreizenden Hardcore-Fans verprügeln sich nicht dauernd gegenseitig. Bei Frauenfußball geht es tatsächlich nur ums Spiel. Wie langweilig. Tatsächlich, Fußball ist etwas ganz anderes.
Isabell Funk, Chefredakteurin

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