Fragen

Ein Freund von mir, deutscher Staatsbürger türkischer Abstammung und bekennender Moslem, ist ein glühender Papstverehrer. Er teilt Franziskus' rigorose Kapitalismuskritik, würde aber nie auf die Idee kommen zu konvertieren.

Er schließt sich dem Tadel des Ponitifex an, wonach Paare, die sich bewusst gegen Kinder entscheiden, egoistisch sind. Meinen Einwand, dass in unserem gemeinsamen Land persönliche Lebensplanung Privatsache sei, pariert er, das sei die von ihm hochgehaltene muslimische Familientradition auch. Wenn ich ihn damit konfrontiere, dass ihn seine Bewunderung für das Oberhaupt einer anderen Religion in islamischen Staaten wie beispielsweise dem radikal-fundamentalistischen Saudi-Arabien leicht das Leben kosten könnte, fragt er mich, warum sich denn der Westen so eng mit einem Land verbündet habe, dessen Machthaber das krasse Gegenteil dessen verkörperten, was unsere demokratische Weltsicht ausmache. Diese Woche sprach ich meinen Freund auf den wachsenden Antisemitismus in Europa an und aktuell auch darauf, dass der Zentralrat der Juden aus Sorge vor Übergriffen davor gewarnt hat, in Stadtvierteln mit hohem muslimischen Bevölkerungsanteil die jüdische Kopfbedeckung für Männer, die Kippa, zu tragen. Er reagierte mit einem Verweis auf Neonazis und die ebenfalls besorgniserregende Islamfeindlichkeit. Ich finde, mein Freund macht es sich zu leicht. Wo so viele die Deutungshoheit über eine Religion beanspruchen und sie jeweils nach ihren Interessen ge- oder missbrauchen, muss die Frage erlaubt sein, wie hältst du es mit dieser Religion? Und doch kann ich meinen Freund auch verstehen. Wann immer auf der Welt im Namen Allahs Scheußliches passiert, soll er sich rechtfertigen, wird er auf seine moralische Gesinnung und seine Verfassungstreue abgeklopft. Dabei würde er nicht einmal bei Rot über eine Ampel laufen. Mein Freund ist Moslem. Er könnte auch Jude, Buddhist, Hindu oder konfessionslos sein. Wir streiten uns über Weltanschauliches, ,,gute" und ,,schlechte" Traditionen und sind oft sehr unterschiedlicher Meinung. Er wirft mir vor, dass meine Fragen häufig einen versteckten Vorwurf enthalten. Mich stört, dass er zu passiv bleibt, wenn seine Religion als Vorwand für antidemokratische oder kriminelle Machenschaften herhalten muss. Aber wir bleiben im Gespräch. Wir haben noch vieles zu diskutieren.

Isabell Funk
Chefredakteurin

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