Luxusprobleme

Vor dem Bundesgerichtshof hat Friedhelm Adolfs einen Etappensieg errungen. Er darf vorerst bleiben.

Der Fall des 76-jährigen Rentners, der wegen seiner Raucherei nach 40 Jahren seiner Wohnung verwiesen werden sollte, weil der Qualm im Flur nach Jahrzehnten plötzlich die Nachbarn belästigt, beschreibt eigentlich ein Luxusproblem. Und doch wirft er einige grundsätzliche Fragen auf: Wie viel Freiheit gestehen wir uns gegenseitig zu, ist bereits unzumutbar und daher zu ahnden, was mich persönlich stört oder unvernünftig ist? Der Prozess Adolfs passt in ein gesellschaftliches Klima, in dem immer häufiger eigene Betroffenheit zum Maß aller Dinge erhoben und rabiat reklamiert wird. Das gilt übrigens auch für den Rentner selbst. Wie leicht hätte man hier eine für alle erträgliche Lösung herbeiführen können. Das Beispiel steht für viele andere. Gerichte müssen sich mit Hahnenschreien, Hundegebell und lärmenden Kindern beschäftigen. Gerade jüngst wurde - nicht überraschend und gottlob - ein Streit an der Mittelmosel um Spielplatzgeräusche zugunsten der Kinder entschieden, ebenso wie vor gut zwei Jahren ein ähnlicher Fall im Kreis Trier-Saarburg. Es ist schon grotesk. Ukraine-Krise, die Gräuel des Islamischen Staates, die weltweit für Entsetzen sorgen, dschihadistischer Terror in Westeuropa - wir leben in einer Zeit, die uns deutlicher als seit langem vor Augen führt, wie verletzlich Frieden und Freiheit sind. Auch im eigenen Land. Gleichzeitig sinkt unsere Frustrationsgrenze. Wie oft arbeiten wir uns an Konflikten ab, in denen Verhältnismäßigkeit nur noch den eigenen Regeln folgt? Auch das Pegida-Syndrom in Dresden und anderswo, das mittlerweile zwar wieder weitestgehend von den Straßen, aber nicht aus den Köpfen verschwunden ist, ist Ausdruck einer solchen Entwicklung. Im ganz Großen sehen wir, wohin Hass, Wut, Fanatismus und Unversöhnlichkeit führen. Aber welche Friedens- und Freiheitsbotschaften gehen im ganz Kleinen von Selbstgerechtigkeit, mangelnder Dialogbereitschaft, Kompromisslosigkeit und dem Anspruch auf moralische Überlegenheit aus? Ja, wir haben ein Luxusproblem.

Isabell Funk
Chefredakteurin

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