Nicht neu, aber von neuem ärgerlich

Streiks sollen wehtun, um Wirkung zu erzielen. Aber wenn nicht mehr einzelne Firmen oder Industrien betroffen sind, sondern ganz direkt unbeteiligte Dritte, dann stößt die von den Gewerkschaften so gerne eingeforderte Solidarität abrupt an ihre Grenzen.

Die Öffentlichkeit reagiert im Gegenteil zunehmend gereizt auf Streiks wie aktuell im Flug- oder Bahnverkehr. Und wenn sich dann auch noch wie bei der Bahn zwei Gewerkschaften um Macht und Einfluss streiten, stellt sich schnell die Frage, ob es hier noch um Arbeitnehmervertretung geht oder vielleicht doch eher darum, wie Funktionäre sich Stellung und Pfründen sichern. Nach den Warnstreiks der Lokführer im Vorfeld der Tarifverhandlungen am vergangenen Montag, die, so lautete die Botschaft, vorrangig den Güterverkehr treffen sollten, in Wirklichkeit aber in etlichen Großstädten den Pendlerverkehr lahmlegten, hat die Gewerkschaft der Lokführer (GdL) für heute bundesweite Kampfmaßnahmen angekündigt und zudem Anspruch darauf erhoben, auch für das übrige Bahnpersonal zu verhandeln. Das aber wird wiederum von der größeren Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) vertreten, die ihrerseits auch Verträge für die Lokführer abschließen möchte. Das Szenario ist nicht neu, aber es ist von neuem ärgerlich. Rivalisierende Gewerkschaften schwächen sich gegenseitig. Und warum sollten Arbeitgeber überhaupt noch im Tarifverbund bleiben, wenn die Gefahr besteht, zu unterschiedlichen Zeiten von unterschiedlichen Seiten bestreikt zu werden. Auch wenn Verfassungsschützer davor warnen, ist schon jetzt die Diskussion darüber, ob Arbeitnehmer an den Schaltstellen der Infrastruktur streiken dürfen, wieder in vollem Gange. Und die Politik arbeitet mittlerweile an einem Gesetz zur Tarifeinheit, das den Einfluss der kleinen aber durchsetzungsstarken Spartengewerkschaften eindämmen soll. Ohnehin passen die Verhandlungsrituale aus dem Industriezeitalter nicht mehr in eine sich rasant verändernde Berufswelt mit ihren zahlreichen globalen und digitalen Verästelungen. In eine Arbeitswelt, die Antworten finden muss auf den demografischen Wandel, die bessere Vereinbarkeit von Familie und Beruf, die stärkere Integration von Frauen und vieles mehr. Es gibt also reichlich Themen, die einer gemeinsamen Kraftanstrengung von Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern bedürfen. Gehälter und Arbeitszeiten gehören dazu. Aber es reicht heute nicht mehr, nur dafür die Messer zu wetzen.
Isabell Funk, Chefredakteurin

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