Böse bis in die Bartstoppeln

Trier · Er kam, sah und liebte - fast gar nichts: Der Kabarettist Hagen Rether hat beim Mosel-Musikfestival drei Stunden lang mit seinem Programm "Liebe" in der Trierer Europahalle gastiert. Der TV präsentierte den Abend.

 Hagen Rether in der Trierer Europahalle, Moselmusikfestivalt Foto: Friedemann Vetter

Hagen Rether in der Trierer Europahalle, Moselmusikfestivalt Foto: Friedemann Vetter

Foto: Friedemann Vetter

"Die beste und sicherste Tarnung (...) ist immer noch die blanke und nackte Wahrheit. Komischerweise. Die glaubt niemand." Ein Zitat aus Max Frischs "Biedermann und die Brandstifter". Und wie zugeschnitten auf Hagen Rether. Denn der 40-Jährige am Konzertflügel ist kein lustiger Märchenonkel, sondern unverbesserlicher Realist. Seine Töne sind leise (für die hinteren Reihen anfangs zu leise). Sanfte Augen, sanfte Stimme. Neuerdings mit Bart und hellem Anzug. Schon immer mit Sätzen, die wie Nadeln punktgenau stechen. Seine Anekdoten, seine Pointen sind oft zu absurd, um wahr zu sein. Und doch ist das, was er erzählt, mitunter brutal real. Ganz normaler deutscher Wahnsinn. Ein "Leben in der Volvo-Werbung", wie es Rether nennt.

Gut drei Stunden lang verdreht der studierte Musiker in Trier das Normale ins Absurde, das Logische ins Unlogische, das vermeintliche Gute ins Schlechte und umgekehrt. Er macht dabei vor nichts und niemandem halt. Auch - und gerade - nicht in Trier, wenn es um die Missbrauchsfälle in der Katholischen Kirche geht. "Soll der Trierer Bischof das nicht aufklären? Ich glaube, er ist befangen. Aber klar, gebt den Löwen die Käfigschlüssel!" Zur Kirche - neben Politik, Umweltschutz, Massentierhaltung und Herbert Grönemeyer eines seiner Lieblingsthemen - kehrt er immer wieder zurück im Laufe des Abends ("Alleine schon dieses Papa-Mobil. Da sitzt einer im Panzerglastresor und predigt Gottvertrauen. Wenn der Hirte schon Angst hat vor den eigenen Schäfchen - was macht der, wenn der Wolf kommt?"). Allerdings hat der Dalai Lama ("Der Peter Lustig für enttäuschte Christen") bei ihm auch nichts zu kichern.

Rether ist sarkastisch bis zur Schmerzgrenze. Nicht verbittert, aber bitterböse. Politisch, aber nie politisch korrekt. Er sagt, was manche nicht einmal zu denken wagen. Komisch im Minutentakt, obwohl das Lachen manchmal im Halse steckenbleiben will. Dann, wenn von Zeit zu Zeit klar wird, dass er sich das alles nicht ausdenkt. Sondern dass es bisweilen die traurige Wahrheit ist. Die niemand glauben will, an diesem Abend aber jeder glauben muss.

Vermutlich hatte Rether genau zwei Möglichkeiten, mit dem Elend der Welt, mit der Scheinheiligkeit ("Da kommt Al Gore zu uns geflogen, um uns zu erzählen, dass Fliegen scheiße ist") und der Doppelmoral ("Wir zerbomben die Opiumfelder in Afghanistan. Die Drogenbarone heißen bei uns Winzer. Die Welt geht am Suff zugrunde, nicht an Opiumderivaten. Aber bei denen sind das Drogen, bei uns ist das Tradition") klarzukommen. Entweder mit Resignation - oder mit einem eigenen Kaberettprogramm. Gott ("Der würde sich im Grabe umdrehen ") sei Dank hat er sich für Letzteres entschieden.

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