Verdi-Oper im See versenkt

Mehr als 200 000 Zuschauer werden bis Ende August bei der Neu-Produktion der Verdi-Oper "Aida" auf der Bregenz Seebühne erwartet. Nie war das Bühnenbild gigantischer - allerdings zulasten der musikalischen Substanz.

Bregenz. Fast könnte man vermuten, Ausstatter Paul Brown sei dermaleinst zu Besuch bei der Trierer Konstantin-Ausstellung gewesen. So sehr erinnert sein Bühnenbild an die Riesen-Füße Konstantins. Nur dass in Bregenz alles noch mal um den Faktor 10 vergrößert wird.

Treter mit Schuhgröße 2400



Schuhgröße 2400 haben die blauen, jeweils 15 Meter langen Treter, und die zugehörige Statue würde, wäre sie proportional, 100 Meter in den leicht bewölkten Premieren-Himmel über der Seebühne ragen. Aber das monumentale Symbol, das sich später als Freiheitsstatue entpuppt, ist zertrümmert. Einzelne Teile ragen aus dem See heraus wie Schiffswracks. Um die Ruinen gruppiert sich Multikulti-Touristengewühl, Straßenmusiker inklusive. Bis zu dem Moment, wo die Ouvertüre einsetzt und ein ertrunkenes Liebespaar aus dem See gezogen wird. Ab dieser Sekunde taucht Regisseur Graham Vick mit dem Publikum in die Vergangenheit ein, lässt Trümmer um Trümmer wiederauferstehen, aus dem Wasser gezogen von riesigen Baukränen, die die Kulisse bilden für die tragische Liebesgeschichte zwischen der äthiopischen Kriegsgefangenen Aida und dem gegnerischen Ägypter-Feldherrn Radames.

Das ist eine faszinierende, schlüssige, tragfähige Grund-Idee: "Aida" als Geschichts-Baustelle. Nur dass Baustellen ihre eigenen Gesetze entwickeln. Selbst noch so genial gesteuerte Kräne brummen, fiepen und knirschen. Und wenn allenthalben gigantische Bauteile durch die Luft schweben, wenn bewegliche Plattformen das Wasser begehbar machen, wenn sich 20 Meter hohe Fackeln blubbernd aus den Fluten erheben, dann interessiert sich irgendwann kein Mensch mehr für die popelige humane Tragödie, die sich dazwischen abspielt. Sogar der von der Regie anschaulich gezeigte Umgang der kriegslüsternen Macht mit dem Protest gerät zur Staffage für den Technik- und Action-Overkill.

Zugegeben: Manchmal bleibt einem der Mund offen stehen, wenn etwa beim Triumphmarsch das Ballett der Kräne eine 25 Meter breite, zerbrochene Maske in der Luft zusammenführt, während unten Tänzer durchs Wasser pflügen. Aber gerade Aidas innige, rührende Szenen der Liebe und Verzweiflung können ihre Wirkung kaum entfalten, wenn Tausende Zuschauer darauf lauern, was denn nun als Nächstes aus dem Bodensee gezogen wird. An Tatjana Serjands berührender Darstellung der Titel-Figur liegt das sicher nicht. Wenn sich jemand engagiert gegen die Überschreitung der schmalen Grenzlinie zwischen der spektakulären Oper und dem Opern-Spektakel stemmt, dann das in tödlicher Konkurrenz befindliche Damen-Duo Aida und Amneris (Iano Tamar). Tenor-Held Radames erlebt dagegen in Gestalt von Rubens' Pelizarri am Premieren-Abend einen veritablen Absturz. was man freilich insofern verstehen muss, als jemand schwerlich gut singen kann, wenn er auf sechs Meter hohen Gold-Elefanten reitet oder in wackligen Käfigen zehn Meter hoch über dem See schmachtet. Da muss man schon so unverwüstlich sein wie der exzellente Amonasro von Iain Paterson, der vor seiner Arie auch schon mal durch den See taucht. Musikalische Detail-Bewertungen abzugeben fällt schwer, wirkt doch die elektronische Verstärkung diesmal ungewohnt unausgeglichen.

Dirigent Carlo Rizzi hat mit den aus dem Festspielhaus nach draußen übertragenen Wiener Symphonikern alle Hände voll zu tun, größeres Durcheinander zu verhindern, so dass für das Setzen von Akzenten wenig Raum bleibt. Am Ende schweben Aida und Radames unter nicht übermäßig euphorischem Beifall mangels des üblichen Höhlen-Verlieses in einem altägyptischen Todesboot buchstäblich gen Himmel, während 50 Meter tiefer Amneris ins Wasser geht - wie so viele Akteure an diesem See-Abend. Untergegangen ist zum Glück niemand. Höchstens Verdi.

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