"Es hat einen Effekt, wenn alle das Gleiche tun

Ökostrom, Bio- und Fairtrade-Produkte - das Interesse an gesellschaftlich verantwortlichen Formen des Konsums steigt stetig. Verbraucher denken immer mehr an Ökologie und Nachhaltigkeit. Verena Schüller sprach mit Wirtschaftsethiker Ludger Heidbrink darüber, was der einzelne Konsument bewirken kann.

 Ludger Heidbrink

Ludger Heidbrink

Foto: Barbora

Wie viel Verantwortung habe ich, wenn ich in den Supermarkt gehe?Heidbrink: Die Verantwortung des Konsumenten bezieht sich nicht nur darauf, dass er Produkte kauft, die bestimmten Standards entsprechen, sondern auch darauf, dass er vernünftig damit umgeht. Das bedeutet aber auch, dass er über die Herstellungs- und Nutzungsbedingungen von Produkten informiert sein muss. Die Verantwortung des Konsumenten ist also immer daran gebunden, welches Wissen er über die Konsumgüter besitzt und wie weit er sich damit auseinandergesetzt hat.Kann denn der Einzelne, wenn er dieses Wissen hat, dann auch wirklich etwas bewirken?Heidbrink: Der Konsument hat meist die Vorstellung, wenn er allein sich vernünftig verhält, bringe das eigentlich nicht allzu viel. Das stimmt aber nicht, denn wenn alle das Gleiche tun, hat das ja schon einen großen Effekt. Klassisches Beispiel: Wenn ich mein Auto stehen lasse, um mit dem Bus in die Innenstadt zu fahren, macht das als Einzelhandlung nicht allzu viel aus. Aber wenn eine Million Bürger das macht, sind die CO2-Einsparungen in einem gravierenden Bereich. Der Einzelne kann ja auch Vorbild für andere werden und mit seinem Verhalten Trends setzen. Der Konsument sollte also immer die Summe seiner Einzelhandlungen im Auge behalten.Worauf würde sich das geänderte Konsumverhalten dann konkret auswirken?Heidbrink: Wir leben in einer Marktwirtschaft,die von dem Verhältnis zwischen Angebot und Nachfrage bestimmt wird. Wenn also bestimmte Güter nicht nachgefragt werden, wird der Anbieter sie entsprechend aus dem Regal nehmen. Das heißt, der Konsument kann die Angebote und den Handel sehr stark beeinflussen - und zwar so weit, dass durch seine Nachfrage Produkte neu ins Sortiment aufgenommen werden. Über sein Kauf- und Nachfrageverhalten hat der Käufer somit großen Einfluss auf die nachhaltige Gestaltung der Marktwirtschaft.Wieso entscheiden wir uns im Ernstfall doch für das nicht nachhaltige Produkt, obwohl wir es vielleicht sogar besser wissen?Heidbrink: Da gibt es ganz 'unterschiedliche Faktoren: Wir stellen uns ja gerne den idealen Konsumenten vor, der reflektiert und informiert in den Supermarkt geht. Die meisten aber haben gar nicht die Zeit dafür. Einkaufen funktioniert ja oft unter Eile und Hektik. Wenn man dann das Produkt nicht auf Anhieb findet, nimmt man das nächstbeste Produkt, auch wenn dies den vorher besorgten Informationen nicht entspricht. Und schließlich ist es auch eine Preisfrage: Waren im Biobereich zum Beispiel sind im Schnitt einfach ein gutes Stück teurer.* In den vergangenen Jahren ist das gesellschaftlich verantwortliche Konsuminteresse bereits gestiegen. Sind die Verbraucher kritischer geworden?Heidbrink: Das muss differenziert betrachtet werden: Der Biomarkt stagniert im Moment und liegt bei etwa fünf Prozent. Aber dafür hat der Umsatz bei Fairtrade-Produkten und nachhaltigen Produkten, bei denen zum Beispiel Klimakriterien eine Rolle spielen, sehr stark zugelegt. Insgesamt ist die Gruppe der nachhaltigen Konsumenten in den vergangenen Jahren gewachsen. Das Marktvolumen derer, die Lohas genannt werden (als Abkürzung für Lifestyle of Health and Sustainability), die also auf Basis von Gesundheit und Nachhaltigkeit handeln, wird zurzeit auf 200 Milliarden Euro geschätzt. Das ist schon eine beachtliche Entwicklung und eine enorme wirtschaftliche Größe auch für die Marketing- und Konsumforscher.Wie Sie es gerade schon für den Biomarkt angedeutet haben: Ist die Kritik der Verbraucher oft nur ein kurzfristiger Trend - wie zurzeit beispielsweise die Ökostrom-Nachfrage in Zusammenhang mit Fukushima?Heidbrink: Ja, das ist der Fall. Wir sind als Konsumenten stark abhängig von äußeren Einflüssen. Also bei Lebensmittelskandalen, Seuchen oder Katastrophen stellen wir unser Verhalten um, fallen aber wenig später häufig wieder zurück in alte Gewohnheiten. Wenn wir uns allerdings einmal daran gewöhnt haben, bestimmte Produkte einzukaufen, werden wir es auch weiterhin tun. Die Chance von Marktseite her wäre also, diese nachhaltigen Produkte auch langfristig im Angebot zu haben. So, dass der Konsument diese Güter wenn nicht aus Überzeugung, dann später zumindest aus Gewöhnung kauft.Bedeutet das, dass nur die Produzenten und Anbieter einen kompletten Wandel herbeiführen könnten?Heidbrink: Nein, es ist natürlich wichtig, dass sich der Konsument weiter Gedanken darüber macht, dass sein Verhalten große Auswirkungen und sogar Einfluss auf zukünftige Generationen hat. Der eigentliche Clou besteht darin, dass Produzenten und Konsumenten gemeinsam an einem Strick ziehen müssen. Die Verantwortung ist also geteilt, sie liegt sowohl auf der Unternehmens- als auch auf der Verbraucherseite. Und dieser Verantwortung müssen beide Seiten gerecht werden.Zum Abschluss ganz praktisch: Was raten Sie uns für den nächsten Einkauf?Heidbrink: Wichtig ist, sich bewusst zu machen, dass Einkaufen kein neutraler oder harmloser Vorgang ist. Also man sollte beispielsweise saisonale Lebensmittel aus regionalem Anbau kaufen oder bei Putzmitteln auf ökologisch abbaubare Produkte achten. Ist das Toilettenpapier recycelt, ist der Honig fairtrade? Da kann man ja schon viel machen. Der Konsument sollte die Augen offen halten und nicht bewusstlos, sondern mit Bewusstsein ins Regal greifen. Buchtipp

2011 hat Ludger Heidbrink das Buch "Die Verantwortung des Konsumenten" im Campus-Verlag veröffentlicht. Darin gehen verschiedene Autoren dem "Verhältnis von Markt, Moral und Konsum" auf den Grund. Immer mehr Verbraucher legen Wert auf nachhaltige Produkte, somit bestimmt Verantwortung stärker das Konsumverhalten. In den Artikeln in Heidbrinks Band werden Vorschläge für eine nachhaltige Gestaltung der Zukunft entwickelt.Ludger Heidbrink, Imke Schmidt, Björn Ahaus (Hg.): "Die Verantwortung des Konsumenten. Über das Verhältnis von Markt, Moral und Konsum", Campus-Verlag, 329 Seiten, 34,90 Euro, ISBN 97-3-593-39537-1 Zur Person

Ludger Heidbrink, geboren 1961, ist Direktor des Center for Responsibility Research (CRR) am Kulturwissenschaftlichen Institut Essen (KWI) und Professor am Reinhard-Mohn-Institut (RMI) der Universität Witten-Herdecke. Von 191 an studierte Heidbrink an den Universitäten Münster und Hamburg Philosophie, Germanistik und Kunstgeschichte; 1992 promovierte er in Philosophie an der Universität Hamburg. 2003 habilitierte er sich an der Universität Kiel. Heidbrink hat vor allem über Wirtschafts- und Unternehmensethik sowie Verantwortungstheoriengeforscht.

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