Unterwegs in der Stadt des Odysseus

Portugals Hauptstadt wurde der Legende nach vom griechischen Helden Odysseus gegründet. Heute blickt die Küstenmetropole auf eine lange Seefahrertradition zurück. Große Entdecker wie Vasco da Gama und Ferdinand Magellan stachen einst von hier aus in See.

 Lissabon ist auf sieben Hügeln erbaut. Wer einen von ihnen besteigt, wird mit einem wunderbaren Panoramablick belohnt. Foto: Mauritius

Lissabon ist auf sieben Hügeln erbaut. Wer einen von ihnen besteigt, wird mit einem wunderbaren Panoramablick belohnt. Foto: Mauritius

Sie waren schon alle hier an diesem Westzipfel Europas: Phönizier, Römer, Mauren, Kreuzritter. Ja sogar Odysseus, der nach dem Trojanischen Krieg zehn Jahre durch die Meere irrte, soll vorbeigeschaut und nebenbei die Stadt, die zu den schönsten Metropolen Europas zählt, gegründet haben. So sagt es die Legende, doch die Lage Lissabons am Flussdelta des Tejo, der dort breit und sanft in den Atlantik mündet, muss Seefahrer schon früh angelockt haben. Selten findet man an der portugiesischen Küste einen so gelungen geschwungenen Naturhafen, in den die Kapitäne ihre Schiffe nach langer Fahrt sanft hineingleiten lassen und vor Anker legen können.
Die Seefahrt prägt Portugals Hauptstadt bis heute. Neben den Container-Riesen legen auch Kreuzfahrtschiffe im Hafen an, damit die Passagiere zum Stadtbummel aufbrechen können. Diesen Ausflug werden sie nicht bereuen - genauso wenig wie die anderen Städte-Touristen, die Lissabon auf dem Landweg oder mit dem Flugzeug ansteuern.
Die Stadt ist nicht so schrill, hipp oder bunt wie andere europäische Metropolen. Aber sie ist warmherzig und empfängt jeden Gast mit einer sanften Umarmung. Die etwa 200 Jahre alten Straßenlaternen tauchen das Zentrum in ein sanftes gelbes Licht, so dass der Besucher sich in einem alten vergilbten Film wähnt, wenn er durch Stadtteile flaniert, die Baixa, Bairro Alto oder Belém heißen.
Metropole des Fado


Berühmt ist auch die Musik der Stadt. Schwermütig sind sie, die Lieder, die Isabel Noronha und Marco Rodrigues im Restaurant Adega Machado singen - begleitet von Pedro Viana auf seiner dickbauchigen portugiesischen Gitarre. Dieser Musikstil wird als Fado bezeichnet. "Die sehnsuchtsvollen Melodien und Texte erzählen von erfüllter oder enttäuschter Liebe, von der Hoffnung auf ein besseres Leben, oder beklagen Schicksalsschläge. Sie können aber auch fröhlich sein, wenn das Glück es gut mit einem meint", erzählt Reiseleiterin Filipa Gonçalves. Überall ist der Fado in den Bars und Restaurants der Stadt zu hören, dringt gedämpft auf die Straße. Der Fado, der "Blues Europas", der "portugiesische Flamenco", wie er gelegentlich genannt wird, ist seit 2011 sogar Weltkulturerbe der Unesco.
Trotz dieser melancholischen Musik ist die Metropole bei Tag und bei Nacht quirlig und lebendig. Die Geschäfte und Restaurants sind voll, die Menschen wirken entspannt. Lissabon lächelt die Krise weg - die "Lisboetas" haben schon anderes erlebt.
Ins kollektive Gedächtnis der Stadt hat sich jedoch das große Erdbeben vom 1. November 1755 eingebrannt. Bei diesem Beben und der anschließenden Feuersbrunst wurde Lissabon zu 85 Prozent zerstört. Außerdem rollte ein bis zu 20 Meter hoher Tsunami vom Atlantik den Tejo hinauf. König José I. und seine Berater handelten schnell und bauten die Stadt nach den Vorstellungen des Premierministers und Stadtplaners Marquês de Pombal wieder auf - quadratisch, praktisch, gut. Seitdem sieht die Altstadt Baixa von oben aus wie eine US-Metropole mit schnurgeradem Straßenverlauf von West nach Ost, von Nord nach Süd.
Doch Baixa ist nicht in Manhattan. Die Fassaden sind reich mit Stuck-Ornamenten verziert, schwungvoll geschmiedete Eisengitter fassen die Balkone ein.
Mitten durch Baixa führt die Prachtstraße Rua Augusta, die am Triumphbogen Arco da Rua Augusta endet. Wer durch den schlanken Bogen geht, findet sich auf einem der schönsten und größten Plätze wieder, die europäische Hauptstädte zu bieten haben: der Praça do Comércio. Er umfasst 170 mal 170 Meter, ist von herrlichen Palästen und Bürgerhäusern umrahmt. Inmitten des Platzes steht das Reiterstandbild König José I., der selbstbewusst auf den träge dahinfließenden Tejo schaut. Auf dem Praça do Comércio werden die Folgen des großen Bebens noch einmal deutlich. Dort stand bis dahin der Königspalast.
Wer mehr Historie erleben will, kann das Lisboa Story Center besuchen. Es ist in einem der Häuser eingerichtet, die den Platz umfassen. Eine virtuelle Reise führt von den Anfängen Lissabons bis in die Gegenwart. Außerdem ist der Triumphbogen seit kurzem begehbar. Besucher genießen auf der Aussichtsplattform einen herrlichen Blick über den Platz, die Altstadt sowie auf die Burg Castelo de São Jorge.
Ja, die Burg: Hier hat man die Metropole unter sich. Sie ist auf dem höchsten der sieben Hügel errichtet, die das Stadtbild Lissabons prägen. Trutzig erheben sich die Festungsmauern der Burg, die hauptsächlich in maurischer Zeit Mitte des 11. Jahrhunderts erbaut wurde. In der weitläufigen Anlage kann der Besucher unter dem Schatten uralter Bäume flanieren und sich auf Steinbänken ausruhen. Eine optische Besonderheit bietet der Ulisses-Turm. Dort ist mit der Camera obscura ein Linsen- und Spiegel-System eingebaut, das Bilder der Stadt auf eine riesige Steinschüssel am Boden des Turms projiziert. Um die Schüssel herum stehen die Zuschauer in dem dunklen Raum und können sich die Stadtteile ansehen. Mit einer einfachen Mechanik verändert die Burgführerin den Blickwinkel.
Ganz im Westen taucht im Bild der Stadtteil Belém auf. Hier ist der Nationalstolz der Portugiesen intensiv zu spüren - zum Beispiel in Gestalt des Entdeckerdenkmals, das an die große Seefahrer-Nation Portugal und ihre Helden erinnert: an Vasco da Gama, der im 15. Jahrhundert Afrika umschiffte und Indien erreichte, oder Ferdinand Magellan, der im 16. Jahrhundert den Pazifik erforschte.
Unesco-Welterbe


Schutzsymbol der Seefahrer ist der benachbarte, 35 Meter hohe Turm Torre de Belém, der 1521 erbaut wurde, um die ankommenden Schiffe zu begrüßen. Der Turm sowie das etwa ein Kilometer entfernte Kloster Mosteiro dos Jerónimos gehören zu den Weltkulturerbe-Stätten der Unesco. Die 300 Meter lange Klosterfassade prägt das Bild des Stadtteils. Der weitläufige Wandelgang der Mönche und die prächtige Kirche zeugen von Reichtum und Macht des Klosters, an dem von 1501 bis 1601 gebaut wurde. In den Seitenflügeln sind das Marinemuseum und das archäologische Museum untergebracht. Architekturfreunde können am Kloster den seltenen manuelinischen Baustil bewundern, der auf den portugiesischen König Manuel I. (1495 bis 1521) zurückgeht. Er vereint spätgotische und Renaissance-Elemente.
Wer zeitgenössische Kunst liebt, könnte allein einen Tag im benachbarten Berardo-Museum verbringen, das Teil des Kulturzentrums von Belém ist. Magritte, Miró, Chagall, Picasso, Dali - Werke der berühmtesten Maler und Skulpturen-Künstler des 20. Jahrhunderts sind dort zu finden. Neben der 1000 Stücke umfassenden Sammlung des portugiesischen Kunstsammlers José Berardo locken auch wechselnde Sonderausstellungen viele Besucher an.
Stadtführungen machen hungrig. Hier bietet Lissabon alles, was das Gourmet-Herz höherschlagen lässt. Natürlich prägt der Fisch die Speisekarten - egal ob man eher Doraden, Rotbarben oder Seeteufel mag. In allen Variationen wird er serviert, wobei die Küche bodenständig ist, kein Schnickschnack. Neben Zwiebeln und Knoblauch sowie einem hochwertigen Olivenöl gehören auch Paprikawurst, Bohnen, Kichererbsen oder Zimt zu den wichtigsten Zutaten. Zum Dessert gibt es Sahnetörtchen (Pastéis de Nata), die in zahlreichen Varianten serviert werden. Dazu passt ein Vinho Verde, ein fruchtiger Weißwein aus dem Norden Portugals.
In Lissabon soll es 1300 Restaurants geben. Beim Bummel durch das Ausgeh-Quartier Bairro Alto hält man diese Zahl gefühlt für untertrieben. Gut besucht sind sie alle. Bei diesem Gewusel und Sprachengewirr setzt sich nach dem zweiten oder dritten Glas Wein ein Dichterwort Friedrich Schillers im Kopf fest: Wer zählt die Völker, nennt die Namen, die gastlich hier zusammenkamen? - Wohl niemand. npExtra

 Der Bahnhof Gare do Oriente liegt im Stadtteil Parque das Nações. Dort fand 1998 die Weltausstellung statt. Foto: alimdi.net

Der Bahnhof Gare do Oriente liegt im Stadtteil Parque das Nações. Dort fand 1998 die Weltausstellung statt. Foto: alimdi.net

 Die Stadt, der Fluss und das Meer: Lissabon ist mit dem Tejo-Delta und dem Atlantischen Ozean eng verwachsen. Foto: np

Die Stadt, der Fluss und das Meer: Lissabon ist mit dem Tejo-Delta und dem Atlantischen Ozean eng verwachsen. Foto: np

Wer Lissabon entspannt, romantisch und preiswert erkunden will, kann dies mit der historischen Straßenbahn (Eléctrico) tun. Die Linie 28 fährt zu allen Sehenswürdigkeiten der portugiesischen Hauptstadt. Ein umfangreiches Info-Paket zu Lissabon, Attraktionen in der Umgebung und aktuellen Feierlichkeiten finden Interessierte auf der Internetseite www.visitlisboa.com. np

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