Aljoscha will laufen

BOLLENDORF. Er kann nicht gehen, nicht stehen, nicht greifen. Aljoscha, der in einem Kinderheim in Russland lebt, leidet seit seiner Geburt an Arthogrypose. Josefa Sander und ihre Mitstreiter vom Malteser Hilfsdienst wollen dem Jungen helfen, aufzustehen.

Wenn der rosa Plüsch-Flamingo läuft, freut sich Aljoscha. Er lacht, reckt seine Hände nach dem Vogel und ruft nach ihm. Betreuerin Irina Efremova lässt den Flamingo tanzen, wackelt mit seinen Beinen. Aljoscha liegt auf dem Boden, gluckst, rollt um seine eigene Achse vor Freude. Aljoscha ist ein fröhliches Kind. Aber kein unbeschwertes. Er kann nicht greifen. Er kann nicht stehen. Er kann nicht alleine essen oder zur Toilette gehen. Er ist fünf Jahre alt. Aljoschas Welt ist der Boden. Er stützt sich auf die Arme und zieht seine Beine hinter sich her. So robbt er durchs Leben. Und so würde es auch bleiben. Gäbe es nicht eine Frau, die der Junge "Tschoseppa" ruft. Mit leuchtenden Augen - als ahnte er, dass diese Frau für ihn wie ein Wunder ist.Fünf Jahre harte Arbeit

Denn Aljoscha lebt in einem Heim in Smolensk. Zusammen mit 260 weiteren Kindern. Alle behindert, viele ausgesetzt, einige von ihren Eltern hergebracht. Weil sie kein Geld haben, um ihre Kinder zu versorgen. Geschweige denn, um teure Operationen zu bezahlen. So war es auch bei Aljoscha, den seine Eltern als Baby in eines dieser Kinderheime brachten. Sie waren schockiert. Über ein Kind mit derart nach innen gebogenen Armen und Beinen, dass Ärzte die seltene Krankheit "Arthogrypose" (AMC) diagnostizierten - eine angeborene Versteifung der Gelenke in Beuge- oder Streckstellung. Für normal situierte Menschen in Russland bedeutet das lebenslängliche Abhängigkeit von anderen. Zuhause - oder schlimmer - in Kinder- oder Altenheimen, in denen sie vor sich dahin vegetieren, gerade mal versorgt mit dem wirklich Notwendigen. Aljoscha, hat Glück gehabt. Er hat Josepha Sander getroffen. Im Dezember 1998, als die Bollendorferin, die sich beim Malteser Hilfsdienst engagiert, einen Besuch im Smolensker Kinderheim machte, um sich von den Fortschritten der Hilfe aus Deutschland zu überzeugen. Denn seit 13 Jahren bringen die Malteser jedes Jahr mehrere Hilfstransporte in Kinder- und Altenheime der Region Smolensk. "Es war Heiligabend, als sie mir Aljoscha zum ersten Mal auf den Arm gaben. Er war drei Monat alt. Ich habe ihn angeschaut, die klaren, wachen Augen. Dann hat er gelacht und gleichzeitig geweint. Da habe ich gewusst: Wir müssen dem Kind helfen", erzählt die 71-Jährige. Es folgten fünf Jahre - geprägt von Gesprächen mit Behörden und Ärzten, Spendenaufrufen, Briefwechseln und Rückschlägen. Der größte traf die Heilpraktikerin im November 2001: Professor Alfred Karbowski aus Köln hatte bereits die kostenlose Operation zugesagt, Josefa Sander und ihre Mitstreiter hatten 14 000 Euro für den Klinikaufenthalt über die Aktion "Ein Herz für Kinder" aufgetrieben sowie einige Tausend Euro für die Reise- und Aufenthaltskosten - Aljoscha war bereits zu Untersuchungen in Deutschland - über eine Malteser-Spendenaktion. Doch die Ärztin im damaligen Kinderheim von Aljoscha wollte das Kind nicht herausgeben. Ohne vernünftigen Grund. Der OP-Termin wurde abgesagt. Josepha Sander kämpfte weiter. Sie setzte sich beim Gouverneur vor Ort für das Kind ein. Mit Erfolg. Der Junge kam in ein anderes Heim, in dem die Malteser Unterstützung bekommen. Seit einer Woche ist der Fünfjährige wieder bei "Tschoseppa" in Deutschland. Irina Efremova, die als Lehrerin ehrenamtlich in Aljoschas Kinderheim arbeitet, begleitet das Kind. Auch in der Klinik in Köln ist sie dabei. Dort ist der Junge bereits ein Mal operiert worden. Mehrere weitere Operationen am Hüftgelenk, an den Füßen und an den Beinen sind notwendig - "pro Woche eine, wenn alles glatt läuft", sagt Sander."Aljoscha soll ein normales Leben führen"

Zwei bis drei Monate muss der Junge vermutlich noch in Deutschland bleiben. Danach geht es zurück nach Russland. Aber zu Untersuchungen und weiteren Behandlungen muss Aljoscha noch mehrmals nach Deutschland kommen. Zu Josepha Sander oder in die Klinik. "Nach den OPs bekommt er Orthesen, das sind Beinschienen, mit denen er laufen lernen kann", sagt sie. Diese Schienen wird der Junge wohl immer brauchen. Sie müssen, während er wächst, immer wieder neu angepasst werden. Zudem wird eine Ergotherapeutin mit dem Jungen arbeiten, damit die deformierten Hände greifen lernen. "Aljoscha soll nicht leben wie ein Wurm", sagt Sander. Und fügt hinzu: "Er soll ein normales Leben führen. Daran glaube ich." Vielleicht kann der Junge bald darüber lachen, dass er selbst gehen kann. So wie sein geliebter Flamingo. Damit Aljoschas Entwicklung weiter gehen kann, wird weiteres Geld benötigt. Denn die bei der ersten Malteser-Spendenaktion gesammelten Mittel, "für die wir sehr dankbar sind" (Sander), sind fast aufgebraucht. Über Spenden aber auch über eine Patenschaft (mit freier Wahl des monatlichen Betrags) für den Jungen freuen sich die Malteser. Spendenkonto 1111251, Stichwort; "Aljoscha", Kreissparkasse Bitburg (BLZ 586 500 30). Auch für Sachspenden sind die Malteser dankbar. Benötigt werden ein Kindersitz fürs Auto und ein Kinder-Sportwagen.

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