Als 25 Eifeler in einem Jahr ihr Dorf verließen

Eisenach · Sie verzweifelten an elenden Lebensverhältnissen, an Hunger, Hoffnungslosigkeit und Militärdienst und suchten ihre Chance auf ein besseres Leben in Brasilien oder Amerika: Der Eisenacher Heimatforscher Werner Weber hat sich auf ihre Spuren begeben, mit überraschenden Ergebnissen.

Als 25 Eifeler in einem Jahr ihr Dorf verließen
Foto: (e_bit )

Eisenach. Sie hießen Krein, Marx, Bley, Witz, Funk, Werner oder Huppes. Sie waren Zimmermänner, Ackerer, Tagelöhner, Leineweber oder Hilfsförster. Sie waren arm und ohne Hoffnung auf Besserung ihrer katastrophalen wirtschaftlichen Lage. Und sie taten damals das, was heute Hunderttausende in die andere Richtung tun: Sie machten sich auf den Weg, raus aus Not und Elend, auf der Suche nach einer Zukunft, nach einer wirtschaftlichen Existenz und oft auch auf der Flucht vor dem gefürchteten Militärdienst.
Der Eisenacher Heimatforscher Werner Weber hat in jahrelanger mühsamer Kleinstarbeit nach Spuren der Auswanderer gesucht und wurde trotz vieler Rückschläge und Irrwege am Ende doch fündig.
Tiefe Einblicke


Herausgekommen ist der siebte Band der Eisenacher Heimatkunde. "Auswanderung in die Neue Welt" hat er ihn betitelt. Er liefert tiefe Einblicke in die Lebensverhältnisse der Menschen damals und in ihre ersten Schritte in der neuen Welt. Die hieß zunächst Brasilien. Allein im Jahr 1856 verließen 25 Eisenacher und vier Gilzemer ihr Dorf Richtung Übersee. Ein beispielloser Aderlass und für heutige Verhältnisse undenkbar. Der Erste, der sich nach Brasilien aufmachte, war 1828 Peter Krein. Er und seine Geschichte spielen deshalb auch eine besondere Rolle in dieser Heimatkunde.
Immer wieder kam Werner Weber durch akribisches, jahrelanges Forschen, Fragen und unermüdliches Studieren von Büchern und alten Verzeichnissen, manchmal aber auch durch Zufälle, auf die Spuren dieser Auswanderer und knüpfte Kontakte in Übersee. Wie beispielsweise zu Isolde Marx, einer Brasilianerin, deren Vorfahren aus Eisenach stammen. Sie belieferte den Eifeler Heimatforscher immer wieder mit wichtigen Informationen und besuchte den Ort zur 1250-Jahr-Feier auch persönlich. Intensive Kontakte waren und sind die Folge. "Frau Marx hat es hier sehr gut gefallen", sagt Weber. Kein Einzelfall. Immer wieder besuchten und besuchen Nachkommen der Auswanderer die Heimat der Groß- oder Urgroßeltern und findet aufmerksame Gastgeber. Doch es finden sich in alten Dokumenten auch manches, was uns heute mehr als sonderbar und befremdlich erscheint.
Etwa im "Königlich preußischen Reisepass für das Ausland" über Mitglieder der Familie Huppes aus Eisenach, die nach Südamerika wollte. Da geht es nicht nur um Körpergröße oder Haarfarbe, sondern auch um Bemerkungen wie "geht lahm", "etwas Pockennarben" oder "Auswuchs an rechter Hand."
Doch nicht nur nach Brasilien zog es viele Eifeler, sondern sie suchten später in Amerika eine Zukunft für sich und ihre Familie. Die Gründe für die Auswanderung waren die gleichen: Not, Elend, Hoffnungslosigkeit. Und oft genug zogen sie Verwandten hinterher, die bereits in Amerika Fuß gefasst hatten. Familiennachzug nennen wir das heute.
So gleichen die Geschichten der verzweifelten Eifeler Auswanderer im 19. Jahrhundert in beklemmender Weise der heutigen Situation. Heute würden die Eisenacher, Gilzemer, Idenheimer, Ralinger oder Holsthumer, die in der neuen Welt eine Chance suchten, allesamt Wirtschaftsflüchtlinge.
Zu bekommen ist das über 60 Seiten starke Heft für fünf Euro bei Werner Weber in Eisenach (Telefon 06506/438 oder <%LINK auto="true" href="http://www.weber-eisenach.de" text="www.weber-eisenach.de" class="more"%> ) oder im Dorfladen in Gilzem und der Erlenapotheke in Irrel.
Extra

Als 25 Eifeler in einem Jahr ihr Dorf verließen
Foto: (e_bit )
 Theodor Krein aus Eisenach und seine Ehefrau Johanna Kirsch aus Tholey mit ihren Enkeln um 1900 (Foto oben). William Krein (Zweiter von links) besuchte seine Verwandten Edgar und Martha Mayer in Eisenach, links Heimatforscher Werner Weber (Foto unten links).Sahen sich in Eisenach um, von wo ihre Vorfahren 1858 nach Brasilien ausgewandert waren: Andre Werner und seine Verlobte Fernanda vor dem alten Lanz Bulldog von Werner Weber (Foto unten rechts). Fotos (3): privat

Theodor Krein aus Eisenach und seine Ehefrau Johanna Kirsch aus Tholey mit ihren Enkeln um 1900 (Foto oben). William Krein (Zweiter von links) besuchte seine Verwandten Edgar und Martha Mayer in Eisenach, links Heimatforscher Werner Weber (Foto unten links).Sahen sich in Eisenach um, von wo ihre Vorfahren 1858 nach Brasilien ausgewandert waren: Andre Werner und seine Verlobte Fernanda vor dem alten Lanz Bulldog von Werner Weber (Foto unten rechts). Fotos (3): privat

Foto: (e_bit )

Werner Weber ist nicht nur ein ausgewiesener Heimatforscher, sondern hat im Laufe seines Lebens auch eine sehr ansehnliche Sammlung mit urzeitlichen Werkzeugen und Funden aus der Römerzeit zusammengetragen (der TV berichtete am 4. Januar 2016). Ein Teil dieser Funde ist seit Kurzem in zwei Vitrinen in der Kultur- und Marktscheune der Gemeinde Welschbillig zu sehen. In einer sind Steinzeitwerkzeuge wie Faustkeile des Neandertalermenschen und Steinbeile aus verschiedenen Epochen, ebenso 50 Pfeilspitzen aus Flintstein aus der Jungsteinzeit bis in die Bronzezeit, alles Funde aus Eisenach, zu sehen. Eine zweite Vitrine ist der Römerzeit gewidmet mit Funden aus Eisenach und Welschbillig. Die Vitrinen sind so in den Glasbau integriert, dass sie von außen und von innen sichtbar sind. ds

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