Als unser Dorf Frontgebiet wurde

Am 11. September 1944 schlugen die ersten Granaten in unserem Heimatdorf Rodershausen ein. Die amerikanischen Streitkräfte waren bis zur Grenze vorgerückt und nahmen unser Dorf unter Beschuss. Rodershausen war Frontgebiet geworden. In der frühen Morgenstunden des nachfolgenden Tages brachen wir auf in Richtung Gaymühle. Wir, das waren meine Eltern, die Brüder Heinrich (16 Jahre), Eduard (neun) und ich (21 Jahre alt). Mit unserem Kuhgespann - den Erntewagen voll gepackt mit Hausrat und Lebensmitteln - zogen wir los in der Hoffnung, dass uns die Front bald überrollen würde und wir nach Hause zurück könnten.Es kam alles anders. Nach nur wenigen Tagen Aufenthalt in Gaymühle und Kreuzdorf kamen wir in Neuerburg bei unserer Tante unter. Kurz nach Beginn der Ardennen-Offensive am 16. Dezember machten sich die Eltern und Heinrich auf den Weg nach Hause, um unsere Kartoffeln zu ernten. Edi und ich blieben in Neuerburg und erlebten dort am 23. Dezember den schlimmen Bombenangriff. Da das Haus unserer Tante zum Glück nicht getroffen wurde, blieben wir unversehrt. Bruder Edi und ich machten uns wieder auf den Weg nach Rodershausen. Dort war die Freude groß, uns heil und gesund wiederzusehen. Jetzt waren wir alle daheim, aber unsere gesamte Habe befand sich in Neuerburg.Am nächsten Tag machten sich Mutter, Heinrich und ich auf den Weg, um wenigstens einen Teil unserer Sachen zu holen. Mit einem alten zweirädrigen Karren von der Tante fuhren wir den Leimbacherberg hinauf. Beim ersten Haus in Leimbach traten wir ein und wollten um ein Glas Wasser bitten. Wir hörten Stimmen, ich klopfte an und öffnete die Tür. In diesem Augenblick schnürte es mir die Kehle zu, und ich hatte Mühe, die Tränen zurückzuhalten. In der Mitte des Zimmers stand ein Tisch, auf dem eine kleine Tanne mit brennenden Kerzen stand.Soldaten und Offiziere saßen da und feierten Weihnachten. Es war der "Heilige Abend", und wir hatten vor Aufregung und Sorgen nicht daran gedacht. Am nächsten Tag, dem ersten Weihnachtstag, machten sich Heinrich und ich wieder sehr früh auf den Weg, um weitere Sachen nach Hause zu holen. Gegen 14 Uhr waren wir zurück, und unser Vater meinte, er müsse nicht lange bitten, wir würden ein zweites mal gehen...Im Gaytal, Richtung Herbstmühle, hörten wir Flugzeuge. Zwei amerikanische Jagdflieger kamen im Tiefflug das Tal entlang, direkt auf uns zu. Sie flogen so tief, dass ich die Piloten deutlich sah. Wir warfen uns in die mit Böschung und rechneten mit dem Schlimmsten, hatten jedoch Glück.Als wir spät zurück in Rodershausen waren, hatten wir insgesamt 40 Kilometer zurückgelegt, 20 davon mit schwerem Gepäck. Für kurze Zeit hatten wir die Hoffnung, alles sei ausgestanden. Doch mit Scheitern der Ardennen-Offensive verschob sich die Front erneut. SMargaretha Röder war Posthalterin in Rodershausen.

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