Behörde zwischen Macht und Ohnmacht

Wann muss das Jugendamt eingreifen, wann soll es, und wann darf es? Mit Blick auf den Fall des misshandelten Babys aus Bitburg hat sich der Jugendhilfeausschuss des Eifelkreises am Montag mit den rechtlichen und pädagogischen Grundlagen der Materie beschäftigt.

Bitburg. Zweieinhalb Stunden kompakte Information. Um die "Möglichkeiten und Grenzen der Jugendhilfe" ging es in einer Sondersitzung des Jugendhilfeausschusses am Montag. Anlass war der Misshandlungsfall des inzwischen sieben Monate alten Mädchens aus Bitburg, der in den vergangenen Wochen für Schlagzeilen gesorgt hatte.Schutzauftrag und Wächteramt

Jugendamtsleiter Josef Winandy und sein Stellvertreter Stefan Urmes unterrichteten die Mandatsträger über die Hintergründe der Tragödie zunächst nichtöffentlich, bevor sie die rechtlichen Grenzen des behördlichen Schutzauftrags und die Grundsätze des staatlichen Wächteramts erläuterten.Fakt ist, dass zurzeit 170 Kinder aus dem Eifelkreis in Pflegefamilien oder im Heim leben; Kinder, die vom Jugendamt in Obhut genommen worden sind, um sie zu schützen beziehungsweise um ihnen eine angemessene Entwicklung und Erziehung zukommen zu lassen. Laut Stefan Urmes befinden sich etwa 75 Prozent dieser Kinder mit Zustimmung ihrer Eltern oder sogar auf deren ausdrücklichen Wunsch in Obhut. Am Rande der Sitzung kritisierte Ausschuss-Vorsitzender Michael Billen (CDU) das Urteil des Oberlandesgerichts (OLG) als "gnadenlos und falsch" (der TV berichtete). Die Koblenzer Richter hatten entschieden, das Anfang des Jahres vermutlich vom Vater misshandelte Kind wieder zurück in die Obhut der Mutter zu geben. Das Amtsgericht hatte zuvor dem Antrag des Bitburger Jugendamts stattgegeben, das Kind bis zur Klärung des Falls einer Pflegefamilie zuzuführen, wo es sich dann auch kurze Zeit aufhielt. Wie berichtet, waren bei dem Kind ein Schütteltrauma sowie Knochenbrüche und Hämatome festgestellt worden. Dem Mädchen, das nun also wieder bei seiner 19-jährigen Mutter lebt, soll es "den Umständen entsprechend gut" gehen, hieß es am Montag. Der 32-jährige Vater des Mädchens befindet sich nach wie vor in Untersuchungshaft. Für Michael Billen haben die Richter voreilig entschieden. "Die Rückgabe an die Mutter kam zu schnell. Ich hätte mir gewünscht, der Fall wäre zunächst bis zum Ende ermittelt worden", sagte der Politiker auf TV-Anfrage.Kinder schützen, Elternrechte wahren

Gleichzeitig hob Billen die Schwierigkeiten hervor, die sich nicht selten aufgrund der Rechtslage für die Jugendämter ergäben, wenn es einerseits gelte, ein Kind zu schützen, andererseits die Elternrechte nicht zu verletzen. Billen: "Jugendämter befinden sich oft zwischen Macht und Ohnmacht."In der Ausschuss-Debatte ging es unter anderem darum, das "Frühwarnsystem" zu optimieren. Dabei sollen Kinderärzte, Polizei, Krankenhäuser und alle in der Jugendhilfe tätigen Organisationen mitwirken. Josef Winandy erinnerte bei der Gelegenheit an den bereits Ende vergangenen Jahres unternommenen Vorstoß des Jugendamts, mit dem das Projekt "Guter Start ins Kinderleben" aus der Taufe gehoben worden sei. Meinung Nur ein schmaler Grat Jugendämter leisten soziale Schwerstarbeit. Das Abwägen eines Falls stellt die Mitarbeiter oft vor Probleme, die nicht nur emotional schwer einzuschätzen sind, sondern ihnen auch rechtlich Grenzen setzen. Erschwerend hinzukommt, dass immer mehr anonyme Hinweise auf Kindesmisshandlungen eingehen, die sich nicht bestätigen, weil ein Nachbarschaftsstreit als Hintergrund vorliegt und die Behörde damit für niedere Interessen schlicht selbst missbraucht wird. Dass eine Behörde dann rasch an ihre personellen Grenzen stößt, bedarf keiner besonderen Betonung. Das Wandern auf dem jeweils schmalen Grat der Entscheidung ist jedenfalls schwierig und kann schmerzhaft sein, wenn Hilfe erst spät, oder gar zu spät kommt. Deshalb macht es Sinn, das vorhandene "Frühwarnsystem" auszubauen, mit dessen engagierter und mutiger Hilfe Misshandlungen wie an dem Bitburger Mädchen vielleicht verhindert werden können. Das Ziel indes bleibt: Kinder brauchen Schutz und Hilfe. Deshalb ist jeder Hinweis, egal wie absurd er zunächst klingen mag, wichtig; vielleicht sogar lebenswichtig. m.reuter@volksfreund.deEXTRA Sozialpädagogische Familienhilfe: Die 19-jährige Mutter und ihr Kind erhalten zurzeit so genannte sozialpädagogische Familienhilfe. Das heißt: Eine Fachkraft (Sozialpädagogin und Psychologin) der Jugendhilfestation Bitburg betreut Mutter und Kind zwölf Stunden pro Woche. Zudem kümmert sich ein Mitarbeiter des Jugendamts um die kleine Familie. Die Mutter ist mit dieser Lösung einverstanden, betonte am Dienstag Kreis-Pressesprecher Rudolf Müller. Die Kooperation mit der 19-Jährigen wird als "gut und intensiv" bezeichnet. Gegen den Vater ermittelt weiterhin die Staatsanwaltschaft. (mr)

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