Behandlungsstühle bleiben leer

BITBURG. Landesweit haben gestern Arzthelferinnen und Ärzte gegen gekürzte Honorare demonstriert. Auch einige Bitburger Praxen beteiligten sich am Ärztestreik.

 "Heute ist Protesttag": Augenarzt Dr. Knut Lange in seiner Praxis in Bitburg.Foto: Katharina Hammermann

"Heute ist Protesttag": Augenarzt Dr. Knut Lange in seiner Praxis in Bitburg.Foto: Katharina Hammermann

Der Redner scheint einen brisanten Punkt angesprochen zu haben: Trillerpfeifen, Beifall und die Rufe aus etwa 1000 Kehlen übertönen sekundenlang die Stimme Dr. Hans Jürgen Göttes. Am Telefon erzählt er, dass er vor dem Mainzer Landtag stehe. Wohin er auch blicke, sehe er Menschen mit Transparenten: "Hund 8,69 Euro - Mensch 1,27 Euro" sei da zu lesen, "Operiert euch doch selbst für 2,7 Cent" oder "Erst sterben die Praxen, dann die Patienten."Honorareinbußen von 20 Prozent

Der Bitburger Neurologe ist nach Mainz gefahren, um an dem landesweiten Protesttag "Praxis 2006" teilzunehmen, zu dem die Kassenärztliche Vereinigung Rheinland-Pfalz aufgerufen hatte. Ärzte und Arzthelferinnen protestierten gegen Honorareinbußen von mehr als 20 Prozent, die durch die neue Gebührenordnung, die so genannte EBM2000plus, entstanden waren. "Die Situation ist desolat", sagt Götte. Der Hintergrund des Protests: Im vierten Quartal erhielten die Ärzte die Abrechnung für das zweite Quartal - und mussten feststellen, dass ihre Honorare etwa ein Drittel niedriger waren als erwartet. Für den Bitburger Augenarzt Dr. Knut Lange bedeutet dies, dass er für die Behandlung eines Patienten statt durchschnittlich 33,3 Euro nur 19,8 Euro bekommen hatte. Zu diesem Zeitpunkt waren Rechnungen, Gehälter und Miete längst bezahlt. "Das schlimme an der Situation ist, dass wir gar nicht mehr darauf reagieren können", sagt Götte. Weil er finanziell nicht planen kann, stellt er keine Helferinnen mehr ein. Patienten habe er ohne Ende, die Wartelisten seien lang - doch alles, was über das Budget hinausgehe, werde nicht bezahlt. "Neurologen haben viele chronische Patienten, die in diesem System nicht mehr adäquat versorgt werden können", sagt Götte. Es ist 14 Uhr, vor der Praxis Dr. Langes warten ein Mann, mehrere Frauen und Kinder vor der verschlossenen Tür. "Heute ist Protesttag", sagt der Arzt. "Da nehmen wir nur Notfälle und Privatpatienten." Der Mann darf bleiben, wie der Arzt noch vor der Türe an den geröteten Augen erkennt. Dass dies Patienten provozieren kann, ist Lange klar. Er ist selbst Kassenpatient und würde sich über eine derartige Abfuhr ärgern. Mit dem Protesttag will er das Bewusstsein dafür schärfen, wie es weitergehen könnte, wenn sich nicht bald etwas ändert. Insbesondere auf dem Land stünden viele Praxen vor dem finanziellen Aus, sagt Lange. "Wenn das so weitergeht, kann mein Chef mich nicht mehr lange halten", befürchtet seine Helferin Corinna Sonnen. Auch der Allgemeinmediziner Dr. Emil Wagner arbeitet mit angezogener Handbremse. "Die Menschen werden heute viel älter", sagt er. Sie würden mehr und besser behandelt als früher. Das koste viel Geld. Nicht selten müssten Ärzte in die eigene Tasche greifen. Etwa dann, wenn sie mehr Medikamente verschreiben, als ihr Budget vorsieht. "Dem wird nicht Rechnung getragen", sagt Wagner. Fachärzte wie der Lungenspezialist Patrick Albrecht können sich nicht an dem kurzfristigen Protest beteiligen, obwohl er dies gerne tun würde. Auch er finanziert seine Praxis maßgeblich über Privatpatienten. Doch die hätten drei Monate auf ihren Termin gewartet, sagt er. "Da kann man nicht einfach absagen."

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