"Da wird nicht jahrelang zugeguckt"

Sie schmeißen mit Steinen nach Autos, stehlen, sprühen verfassungswidrige Zeichen - und werden immer jünger: Der Polizei Bitburg ging eine Clique Kinder und Jugendlicher ins Netz, die durch mehrere Straftaten aufgefallen waren. Das jüngste Gruppenmitglied ist gerade mal elf Jahre alt. Ein Gespräch mit dem Jugendsach bearbeiter Peter Scholtes.

Bitburg. (scho) "Für manche Straftäter, die ich in meinem Dienstwagen zur Wache bringe, bräuchte ich eigentlich einen Kindersitz": So bringt Peter Scholtes, Jugendsachbearbeiter bei der Polizei Bitburg, eine traurige Realität auf den Punkt. Vereinzelt fallen ihm und seinem Kollegen Günter Colling sogar schon Acht- und Neunjährige auf. Keine Frage, das sind Ausnahmen - Zwölfjährige hingegen nicht. Die Deliktarten sind gestreut: Ladendiebstähle, Rangeleien bis hin zu Körperverletzungen oder Sachbeschädigungen sowie Drohungen - etwa gegen Lehrer. Obgleich Kinder- und Jugendkriminalität nicht steigt (siehe Extra), sind Fachleute alarmiert, denn die Täter werden jünger.Damit kriminelle Karrieren nicht schon im Kindesalter beginnen, halten Scholtes und Colling die Präventionsarbeit an Schulen für sehr wichtig. Denn: "Von diesem Problem ist keine Schule verschont", sagt Scholtes, und ergänzt: "Wer sagt, solche problematischen Kinder gäbe es auf seiner Schule nicht, verschließt nur die Augen." Dank der guten Orts- und Personenkenntnis, die die beiden Jugendsachbearbeiter sich über Jahre erworben haben, sowie der funktionierenden Zusammenarbeit mit Schulen, Jugendamt und Sozialarbeitern konnten die Polizisten kürzlich eine etwa zehn Mitglieder umfassende Kinder- und Jugendlichengruppe stoppen, die einige Wochen lang ihr Unwesen im Stadtgebiet getrieben hat. Der Jüngste elf Jahre alt, der Älteste - und einzige Strafmündige - der Clique ist 15 Jahre.

"Das Treiben dieser Gruppe ging an Fastnacht mit der Spray-Aktion im Pelzersgässchen los", sagt Scholtes. Dort hinterließen die Jungen ein Hakenkreuz (verkehrt herum gesprüht, aber dennoch genauso verfassungsfeindlich) und die Buchstaben "PKK" - Kürzel einer Untergrundorganisation, die mit Waffengewalt für die Autonomie kurdisch besiedelter Gebiete in der Türkei kämpft und als terroristisch eingestuft wird.

Gewollte Provokation trotz politischen Unwissens

Scholtes glaubt nicht, dass den Kindern der politische Hintergrund ihrer Sprayereien bewusst ist, wohl aber, dass sie bewusst damit provozieren wollten. Da ein Teil der Gruppe die Spraydosen aber zuvor in einem Bastelladen in der Innenstadt geklaut hatte und dabei von einer Video-Überwachungskamera gefilmt wurde, stieß die Polizei schnell auf die Täter (der TV berichtete). Mitglieder der gleichen Clique haben auch Handy, Uhr, und Geldbörse aus einer Sporttasche im Umkleideraum der Grundschule Süd gestohlen und anschließend noch einen Laden-Diebstahl im Kaufland begangen, wo sie CD-Rohlinge und einen Fahrradschlauch mitgehen ließen.

Zuletzt gab schließlich der Elfjährige zu, dass er die Steine von der Fußgängerbrücke Kolmeshöhe auf die B 51 geworfen hat. Auf ihn stießen die Ermittler dank ihrer guten Orts- und Gruppenkenntnis. "Solche Cliquen tauchen an verschiedenen Orten immer mal wieder auf. Haben wir sie ermittelt, ist erst mal wieder Ruhe", sagt Scholtes und betont: "Da wird nicht jahrelang zugeguckt, bis die strafmündig sind."

Meinung

Rand-Problem, das alle betrifft

Dass die Straftäter immer jünger werden, sollte ein Warnschuss sein, bevor das Kind in den Brunnen gefallen ist. Denn mit einem Verweis darauf, dass Kinder sich seit jeher mal einen (unpassenden) Schabernak erlauben, ein paar Bonbons klauen oder sich in die Haare bekommen, ist es nicht getan. Denn diese Straftaten haben kaum noch "Kinder-Charakter", sondern kriminelle Energie. Dahinter steht ein größeres Problem: Stammen die Kinder doch meist aus Familien, die am Rand der Gesellschaft leben. Schulen allein können das nicht kurieren. Aber die Kinder brauchen eine wirkliche Chance, damit ihr Weg in kriminelle Subkulturen nicht vorgezeichnet ist. Deshalb müssten Sozialarbeiter schon jetzt in jede Schule, und Jugendamt, Streetworker und Polizei für diese Arbeit mehr Personal bekommen. Das kostet. Aber es wird noch viel mehr kosten, wenn erstmal teure Gefängnis-Aufenthalte anfallen. Einmal abgesehen davon, dass es zu den Grundlagen unserer Gesellschaft gehört, jenen eine Hand zu reichen, die von vorneherein benachteiligt sind. Sonst könnte es irgendwann auch für den Wohlstands-Rest verdammt ungemütlich werden. d.schommer@volksfreund.deEXTRA Was kriminellen Kindern droht: Auch gegen strafunmündige Kinder wird Anzeige erstattet samt Bericht ans Jugendamt. Fallen die gleichen Kinder mehrfach auf, werden Eltern und Jugendamt zum Polizei-Gespräch bestellt, wie im jüngsten Fall (siehe Haupttext). Der 15-Jährige muss sich vor dem Jugendrichter verantworten. "Gespräche mit dem Jugendamt sind schon eine Maßnahme, die den meisten unter die Haut geht", sagt Jugendsachbearbeiter Peter Scholtes. Die geschockt bis entsetzten Eltern verbieten ihren Kindern untereinander den Kontakt, womit solche Cliquen "gesprengt" sind. Bei "Problemfamilien" leistet das Jugendamt mit Erziehungsbeistand unterstützende Hilfe und stattet regelmäßig Besuche ab. In Extrem-Fällen wird das Aufenthaltsrecht entzogen, und die Kinder müssen ganztags oder stundenweise in ein Heim oder eine sonstige Einrichtung, wo sie betreut werden. Wurzeln kriminellen Verhaltens liegen nach Scholtes vor allem in den Familien und dem Umfeld der Kinder. 2007 waren von rund 1500 Tatverdächtigen, die die Polizei Bitburg ermittelt hat, 83 jünger als 14 Jahre (5,6 Prozent); 196 zwischen 14 und 18 Jahren (13,2 Prozent) und 152 zwischen 18 und 21 Jahren (10,2 Prozent). (scho)

Meistgelesen
Neueste Artikel
Zum Thema
Aus dem Ressort