"Das Band wird zerschnitten"

PRÜM. Der Sozialkritiker Friedhelm Hengsbach lehnt Reformpläne von Bundesregierung und Opposition als "Ausstieg aus der solidarischen Krankenversicherung" ab. Im Prümer Pfarrheim diskutierte Hengsbach mit interessierten Bürgern.

Rund 60 Zuhörer folgten der Einladung der Katholischen Erwachsenenbildung (KEB) in der Region Westeifel und der Hospizbewegung im Kreis Bitburg-Prüm zum Vortragsabend im Prümer Pfarrheim. Referent Friedhelm Hengsbach (66) ist Lehrer an der Hochschule der Jesuiten in St. Georgen. Sein Thema: "Die Würde des Menschen ist unverletzbar - so lange er reich, jung und gesund ist". Als Ausgangspunkt wählte Hengsbach die umstrittene Aussage des Junge-Union-Vorsitzenden Philipp Mißfelder, der 85-Jährigen das Recht auf künstliche Hüftgelenke abgesprochen hatte. "Die öffentliche Empörung war zum Teil heuchlerisch, denn die Frage des Umgangs mit knappen Mitteln gehört selbstverständlich dazu", stellte Hengsbach klar. Ein Schwachpunkt von Mißfelders Vorstoß sei die Annahme, Finanzengpässe ließen als Lösung nur Rationierung zu. Statt dessen könne das Geld auch wirksamer eingesetzt und nicht nur bei der Patientenseite gespart werden. Ein weiterer Schwachpunkt sei die Verengung auf die Schiene Jung/Alt. Bei Entscheidungen etwa von Ärzten gebe es eine Fülle von Kriterien wie Erfolgsaussichten, Nachhaltigkeit der Behandlung und mögliche Alternativen. Den aktuellen Reformplänen erteilte Hengsbach eine Absage: "Das Band der Solidarität wird systematisch zerschnitten." Wer mehr einzahle, bekomme künftig auch mehr Leistung. Krankengeld und Zahnersatz würden ausgeklammert, Zuzahlungen erhöht. Sparpotenziale sieht Hengsbach dagegen auf der kollektiven Ebene, bei Pharmaindustrie, Apotheken, Krankenkassen und Kassenärztlichen Vereinigungen: "Da müssten die Reformer ansetzen." Ein Anliegen des Professors ist es, mit "Legenden" aufzuräumen, die als Erklärung für die hohen Kosten im Gesundheitssystem herangezogen würden. Der technische Fortschritt mit angeblich zu teuren Entwicklungen bringe in Wirklichkeit einen Qualitätsgewinn. Auch die gestiegene Lebenserwartung ließ Hengsbach nicht als Argument gelten, denn teuer werde jeweils das letzte Lebensjahr. "Kinder sind ein Armutsrisiko"

Das Einklagen der "Generationen-Gerechtigkeit" bezeichnete der Jesuiten-Pater als "diffuses Geschwätz". Denn der öffentlichen Verschuldung stehe privater Reichtum gegenüber, der vererbt werde. Und die weniger werdenden Erwerbstätigen müssten eben so produktiv arbeiten, dass auch die wachsende Zahl der Rentner davon leben könne. Statt eines Generationenkonflikts sieht Hengsbach Konflikte innerhalb der Generation: zwischen Haushalten mit und ohne Kindern, zwischen Erwerbstätigen und Arbeitslosen, Männern und Frauen. KEB-Bildungsreferent Werner Weidig eröffnete die Diskussion: "Ich bedaure, dass die positiven Auswirkungen der Kinder auf ihre Eltern nicht gesehen werden." Hengsbach stimmte ihm zu, bekräftigte jedoch: "Kinder sind ein Armutsrisiko." Im übrigen sei es "völlig egal", wie viele Menschen künftig in Deutschland lebten. Irgendwo auf der Welt gebe es schon Nachwuchs. Allerdings plädierte der Professor dafür, nicht nur Betreuungseinrichtungen zu schaffen, damit Frauen arbeiten könnten: "Warum können Männer ihre Arbeitszeit nicht stundenweise reduzieren, damit sie sich bei der Kindererziehung einbringen können?"

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