Der Glöckner vom Ourtal

WELCHENHAUSEN. "Der Glöckner vom Ourtal" - das klingt fast wie ein Ganghofer-Roman. In der Tat verbreiten das Dörfchen Welchenhausen und sein Küster Johann Mettendorf so etwas wie Feiertagsstimmung und Emotion.

 Seit 30 Jahren zieht Johann Mettendorf die dicken Seile der Glocken in Welchenhausen. Foto: Joachim Schröder

Seit 30 Jahren zieht Johann Mettendorf die dicken Seile der Glocken in Welchenhausen. Foto: Joachim Schröder

Johann Mettendorf ist seit 60 Jahren Küster und seit 30 Jahren der "Glöckner von Welchenhausen". Verträumt liegt der 35-Einwohner-Ort im stillen Ourtal. Die Mettendorfs - Johann und Anna - wohnen am linken Ufer der Our an einem Steilhang, hier wurde Johann vor 77 Jahren geboren. Er arbeitete zeitlebens als Landwirt und Bauarbeiter. Natur, Bienen, Kirche, Feuerwehr und Dorfpolitik, das sind fünf Elemente seines Lebens, die ihm und seiner Familie im Dreiländereck Begleiter waren. Mitten im Dorf steht das schmucke Kapellchen St. Cornelius und Luzia. "Zum Glück wurde unser Dorf im Krieg nur wenig zerstört, einige Dächer und Fenster gingen zu Bruch", weiß "Hänni", wie er respektvoll genannt wird. Seine Frau Anna und ihre vier Kinder wissen auch noch von karger Zeit zu erzählen - hier, so nah an der Grenze, wo sich erst in den 50er Jahren alles "etwas normalisierte". Die heute völkerbindene Brücke wurde erst 1955 gebaut, das ansehnliche Kapellchen, das aus dem Jahre 1686 stammt, vor 17 Jahren aufwändig restauriert. "Der Holzaltar ist eine Kostbarkeit", sagen die Mettendorfs - und die müssen's wissen. Denn religiöses Leben wird in der Familie groß geschrieben. Seit 1945 tut Johann Küsterdienst in "seinem" Kapellchen. Das heißt 60 Jahre Zuverlässigkeit, Pünktlichkeit und Freude an dieser Berufung. "Mit 17 Jahren wuchs ich einfach da rein", sagt Johann, der seit sechs Jahrzehnten seinen festen Tagesrhythmus gefunden hat: aufstehen, Glocken läuten, in den Stall schauen, frühstücken... So fängt jeder Tag hier in der Dorfstraße 6 an. "Dann wird der Volksfreund gelesen". Zwei Glocken gilt es zu bedienen, die Luzien- und die Marienglocke. "Dreimal wird die Betglocke geläutet, morgens um sieben, mittags um halb zwölf und abends um sechs", sagt Johann Mettendorf. "Dabei bete ich stets den "Engel des Herrn." Wenn jemand gestorben ist, muss der "Ourtalglöckner" läuten. "Ist ein Mann gestorben, gibt es drei Anschläge, ist es eine Frau, wird zweimal angeschlagen", sagt der Hänni und lächelt verschmitzt. "Das hat nix mit Abwertung der Frauen zu tun - es markiert nur den Unterschied." Hat Johann ein "Steckelchen" parat? "Oh, ja", entfährt es ihm. "Den dicksten Patzer erlaubte ich mir beim ersten Küsterdienst: Ich reichte dem Pastor den Gürtel falsch herum, seitdem weiß ich aber, wohin die Knopfseite gehört." Und wie sieht es mit der Zukunft der Kirche aus? "Die lebt weiter, es war immer ein Auf und Ab. Nun sehen wir eine Blüte in den armen Ländern, während hier die Kirchen leerer werden". Resignation ist nicht sein Ding. "Man muss immer Hoffnung haben", sagen Anna und Johann im Gleichklang. "Der Glaube stirbt nie aus". Während drinnen der Kaffee dampft, zieht im stillen Ourtal der Nebel auf. Die letzten Schneefelder schmelzen dahin, der Frühling lauert. "Wir warten ab und lassen uns überraschen", sagt Johann. Er, der Ourtaler, hat es gelernt, im Einklang mit der Natur zu leben. "Wir können sowieso nix ändern, der Herrgott macht das schon richtig".

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