Der Ruf der Heimat

SPEICHER/MÜLHEIM AN DER RUHR. Weihnachten ist ein Fest des Friedens, der Liebe und der Familie. Was aber, wenn die Familie hunderte von Kilometern entfernt wohnt?

Alois Mayer hat sein zweites Zuhause fernab seines Heimatorts Speicher gefunden. Zu Weihnachten hält ihn aber nichts davon ab, seine Mutter und seine Geschwister zu besuchen. Seit mehr als 30 Jahren ist es immer wieder dasselbe Ritual. Eigentlich hätte Alois Mayer nichts gegen etwas Schlaf nach Heiligabend einzuwenden. Doch die Vorfreude auf das immergleiche Ritual weckte ihn bisher noch jeden Morgen. Am ersten Weihnachtsfeiertag belädt Alois Mayer zusammen mit seiner Frau und Tochter routiniert sein Auto mit Gepäck. Um acht Uhr morgens löst er in Mülheim an der Ruhr die Handbremse seines Autos und tritt sanft aufs Gas. Sein Ziel: Speicher. Fahrtzeit: zwei bis drei Stunden. Wie in den vorangegangenen Jahren, will der Grund- und Hauptschullehrer den ersten Weihnachtsfeiertag mit seiner Mutter und seinen Geschwistern in Speicher verbringen. Das ist Tradition. Tradition ist auch das Weihnachtsessen. Seine 92-jährige Mutter wird es sich auch in diesem Jahr nicht nehmen lassen ihre Kinder mit einem Gaumenschmaus zu verwöhnen: Feldsalat, Rindfleischsuppe, Tafelspitz, Truthahn und als Dessert wird es einen Obstsalat geben, erzählt Alois Mayer. Für die vielen kulinarischen Leckerbissen am nächsten Tag wird an Heiligabend der Appetit so gut es geht gezügelt. "Wir essen vor allem leichte Sachen", sagt Mayer. Nach dem Mittagessen ist in Speicher Bescherung und ein Kartenspiel mit seinen Brüdern angesagt . "Schmausjes" nennt sich das Spiel für vier Personen. "Eigentlich gibt es dieses Spiel nur in der Schweiz und in Speicher", sagt Mayer und schmunzelt dabei. Für die Geschwister gehört es am ersten Weihnachtsfeiertag einfach dazu. Sie kennen das Kartenspiel aus ihren Kindertagen. Verlieren möchte keiner der Brüder und deshalb zieht sich das Spiel gut und gerne zwei Stunden hin. Wie manche seiner Freunde und Bekannte einfach Weihnachten auf der Skipiste oder am Palmenstrand verbringen, kann sich Mayer nicht vorstellen. Das Bedürfnis, Weihnachten zu Hause in Speicher zu feiern, ist bei Alois Mayer im Laufe seines Lebens gestiegen. "Für mich ist Weihnachten ein Fest der Familie. Ich komme immer wieder gerne in die Heimat." Er schätzt die Natur in der Eifel - besonders das Kylltal. Für den 54-Jährigen sind das keine bloßen Worte. Und deshalb hat er in Mülheim an der Ruhr auch seine Traditionen, die er regelmäßig pflegt. "Mit meiner Frau, die auch aus Speicher ist, spreche ich oft Platt", sagt Mayer. Auch der Zweite Weihnachtsfeiertag wird ganz der Familie gewidmet. Dann ist Alois Mayer auf Besuch bei den Schwiegereltern. In Hektik und Stress jedenfalls artet sein Aufenthalt in der Heimat nicht aus. Ungern erinnert sich Mayer aber an die erste Fahrt von Mülheim an der Ruhr nach Speicher. Nach einer längeren Frostperiode hatte es angefangen zu regnen. Binnen weniger Minuten befanden sie sich mit ihrem Auto inmitten einer Massenkarambolage. Mayers hatten Glück, ihnen passierte nichts. Deswegen aber Weihnachten mit der Familie absagen? Nicht mit Alois Mayer. In diesem Jahr wird er nicht nur mit Frau und Tochter anreisen: Auch sein Enkelkind wird zum ersten Mal das Mayer´sche Weihnachts-Ritual kennen lernen.

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