Der Zeugen-Marathon

BITBURG. Kippt der so genannten "Gauleiter-Prozess" kurz vor seinem Ende? Nach einem Vernehmungsmarathon der Entlastungszeugen forderte die Verteidigung die Einstellung des Verfahrens vor dem Bitburger Schöffengericht.

Die Verteidigung des seit zwei Jahren suspendierten Polizisten ließ gleich eine ganze Armada von Entlastungszeugen auffahren. Zwei Tage lang sollten ehemalige Mieter der Häuser von Gaymühle, Arbeitskollegen und letztlich auch der 24-jährige Sohn des Angeklagten das durch die Vorwürfe arg ins Wanken geratene Bild des Polizisten Helmut J. wieder zurechtrücken. "Die braunen Sprüche passen einfach nicht zu dem Angeklagten. Das wäre ein Verhalten wie bei ,Dr. Jekyll und Mister Hyde‘", sagte ein Kollege von J., der zusammen mit ihm an dem Polizeiausbildungsinstitut in Linnich bei Aachen gearbeitet hat."Wir sind aus allen Wolken gefallen", kommentierte auch Institutsleiter Hans-Joseph Rademacher die ersten Durchsuchungen in den Büroräume des Angeklagten. Er bezeichnete ihn als "unauffällig" und als integeren Beamten, der "fest auf dem Boden der demokratischen Grundordnung" stehe. Auch die anderen Zeugen, die zum Teil in von J. vermieteten Häusern in Gaymühle wohnten, bescheinigten ihm - soweit sie sich an Einzelheiten und Daten erinnern konnten - "soziales Engagement" und "gut nachbarschaftliche Beziehungen".Vom braunem Gedankengut bei dem Polizisten (J. wird unter anderem vorgeworfen, er soll sich als "Gauleiter" vom Gaytal bezeichnet haben) sei ihnen nichts bekannt. Selbst dem zuständigen Bezirkspolizisten von der Polizeiinspektion Bitburg war zur Zeit der angeblichen Vorfälle nichts zu Ohren gekommen.Kollege: Angeklagter war naiv

Klar ist, dass viele der Mieter von J. einiges auf dem Kerbholz hatten: Einer war wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern verurteilt, der nächste ein Sozialhilfebetrüger. Ein Arbeitskollege sagte, er habe J. öfter davor gewarnt, dass es da "zu Auswüchsen" kommen und seine "soziale Ader" ausgenutzt werden könnte. "Naivität" warf ihm der Kollege vor, was von J. mit heftigem Kopfnicken bestätigt wurde. "Ich war einfach dumm", flüsterte er seinem Anwalt und Duz-Freund Franz-Josef Jussen immer wieder zu. J. verfolgte die Zeugenaussagen stets mit höchster Aufmerksamkeit. Nervös zog er immer wieder seine Krawatte glatt. Bei fast allen Zeugenaussagen nickte er entschlossen. Ohne Zweifel waren der fünfte und sechste Verhandlungstag die Tage der Verteidigung. Am Ende des Vernehmungsmarathons wurde deutlich, dass die Glaubwürdigkeit der Belastungszeugen zumindest fraglich zu sein scheint. Grund genug für J.'s Verteidiger, am Ende des sechsten Tages die Einstellung des Verfahrens zu fordern.Den Tatbestand des "Geheimnisverrats" entkräftete eine Zeugin. Sie selbst habe mit Gerichtsdokumenten Informationen über ihren Ex-Ehemann im Gaytal verbreitet und nicht J. Dass er Informationen über das zum Teil dubiose Vorleben seiner Mieter hatte, bestreitete J. gar nicht. Die Interessenten für seine Häuschen im Gaytal hatten ihn offenbar mit Details über den jeweils anderen versorgt. Auch die "Komplott-Theorie" gegen J. erhielt wieder neue Nahrung: Ein "unbeteiligter Dritter", der mit dem Angeklagten nichts zu tun hatte (nur als Vermieter mit einem Bewohner des Gaytals), berichtete über einen "Verein, der sich zur Aufgabe gemacht habe, den Angeklagten fertig zu machen", einer Clique von vier, fünf Personen. Allerdings hatte er dies lediglich aus dem Munde eines bereits vernommenen Zeugen, eines angeblichen Opfers des Angeklagten, gehört, wie so viele Aussagen der Entlastungszeugen. So setzte sich auch die fast zweistündige, sehr routiniert abgespulte, fast pausenlose Aussage von J.s Sohn größtenteils nur aus indirekten Quellen zusammen. "Das weiß ich nicht mehr genau!" oder "Das weiß ich vom Hörensagen", antwortete er mehrfach bei detaillierten Nachfragen.Lediglich der Vorwurf, Ausbildungsfahrten mit den Polizisten für private Zwecke missbraucht zu haben, scheint stichfest zu sein. J. soll während einer solchen Dienstfahrt Miete bei säumigen Bewohnern eines seiner Häuser eingetrieben haben. "Das gefällt mir natürlich nicht", sagte der Leiter des Polizeiausbildungsinstituts.Am kommenden Montag soll die Beweisaufnahme in dem Prozess abgeschlossen werden. Einige bereits vernommene Zeugen werden erneut gehört, um alle Unklarheiten zu beseitigen. Dann stehen die Plädoyers von Staatsanwaltschaft und Verteidigung an.

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