Die Not, die keiner sieht: Armut grenzt aus

Erschreckende Zahlen: Knapp 800 Schuldner-Haushalte hat der Caritasverband Westeifel 2007 beraten - darunter auch immer mehr Menschen aus geordneten Verhältnissen, die nach Scheidung, Hausbau oder Arbeitslosigkeit abstürzen. Vor allem Kinder leiden unter der Geldnot. Denn Armut grenzt aus. 700 Eifeler Jungen und Mädchen leben von Hartz IV.

Bitburg. Es trifft die Schwächsten: Bundesweit ist jedes sechste Kind auf Sozialhilfe angewiesen. Im Eifelkreis Bitburg-Prüm leben mehr als 2300 Menschen mit staatlicher Unterstützung (Hartz IV oder Arbeitslosengeld II) - darunter mehr als 700 Kinder unter 15 Jahren. Landesweit teilen rund 70 000 Heranwachsende dieses Schicksal. "Damit erfassen wir aber nur diejenigen, die Hilfe beziehen. Die Armuts-Dunkelziffer liegt wesentlich höher", sagt Michael Fasen, Fachbereichsleiter der Schuldnerberatung des Caritasverbands Westeifel. "Hinzu kommen noch jene, die Arbeit haben, aber letztlich nur 100 Euro über Hartz-IV-Niveau leben und aus Stolz keine Hilfe suchen", sagt Fasen. Mehr als 700 Haushalte hat die Schuldner-Beratung 2007 betreut (siehe Extra). Auch eine weitere Zahl macht die Not deutlich: Knapp 500 Kinder leben in Haushalten, die ihre Lebensmittel von der "Bitburger Tafel" beziehen. Es ruckt und rüttelt in unserer Gesellschaft, doch kaum einer merkt es, weil die von Armut betroffenen Menschen, ihre Not, so gut und lange es geht, verbergen. Ein Problem, das auch Fasen kennt: "Leider kommen die wenigsten so früh, dass die Beratung schnell erfolgreich sein kann. Die Leute fürchten, ihr Haus verkaufen zu müssen und kommen erst, wenn nichts mehr geht, sie weder Strom noch Wasser haben und ihnen alles über den Kopf wächst." Neue Armut: Absturz aus geregelten Verhältnissen

So sind von den knapp 800 Kontakten, die die Schuldner-Beratung in einem Jahr zählt, nur rund 240 Kurzberatungen, mehr als 540 länger laufende Fälle. Was auffällt: Neben der sogenannten alten Armut, die über Generationen "vererbt" wird, gibt es auch hierzulande immer mehr Fälle "neuer Armut". Fasen: "Darunter versteht man, dass Leute aus relativ geregelten Verhältnissen abstürzen." Etwa wenn der Ernährer einer vierköpfigen Familie, die gerade ein Haus baut, plötzlich arbeitslos wird, und nach einem Jahr Arbeitslosengeld I (rund 65 Prozent des alten Gehalts), dann die Regelbezüge nach Arbeitslosengeld II fällig werden. Besonders nahe gehen dem Schuldnerberater die Fälle, bei denen Kinder betroffen sind. Fasen: "Dahinter stehen oft Schicksalsschläge wie Tod oder Unfall, Scheidung und Arbeitslosigkeit." Da funktioniere dann der gewohnt geregelte Alltag auf einmal nicht mehr und die Schulden brechen wie eine Welle über den Betroffenen zusammen. Hinzu kommen zahlreiche Ratsuchende, bei denen die Problemlagen über die Geldnot hinaus so komplex seien, dass die Berater auch immer mehr sozialarbeiterisch tätig werden müssen. Fasen: "Etwa wegen Sucht, Gewalt, ungewollter Schwangerschaften und vielem mehr." Schlimm findet der Berater, wie Armut die Betroffenen ausgrenzt - vor allem die Kinder: "Da, wo der Normalverdiener sein Kind fördert, müssen arme Familien sparen. Wenn es dann für die Pommes beim Sportfest nicht reicht, schicken die Eltern ihr Kind gar nicht mehr in den Sportverein." Schwimmkurse, Klassenfahrten, Instrumenten-Unterricht - für arme Kinder fällt vieles flach. Die Caritas will helfen (siehe Bericht auf Seite 8). Meinung Es kann jeden treffen Die viel gescholtene soziale Hängematte hat als Ausrede ausgedient: Immer mehr Menschen fallen durchs Raster sozialer Sicherungen, obwohl sie sich redlich plagen. Altersarmut, Familienarmut, Kinderarmut - die Not ist längst vor unserer eigenen Haustür angekommen. Doch keiner sieht sie, weil sie in unsere Konsum-Gesellschaft so schlecht passt, dass sie versteckt und verschwiegen wird. Fast heimlich spaltet sich so die Gesellschaft in ein Drittel Reiche, zwei Drittel Arme, der Mittelstand wird Stück für Stück wegrationalisiert. Diese "neue Armut" kann jeden treffen. Da hilft auch kein Verweis darauf, dass sich mancher Sozialhilfe-Empfänger noch Zigaretten und Video-Spiele leistet. Schließlich haben sich viele schon so weit aufgegeben, dass sie Hilfe brauchen, um zu lernen, ihr bisschen Geld sinnvoll einzusetzen - und die Aussicht, dass sich dieses Umdenken lohnt. Die Spenden-Bereitschaft für die versteckte Armut nebenan sollte nicht länger hinter dem Einsatz für Katastrophen-Opfer in fernen Ländern zurück stehen, deren Leid in einer massenmedialen Bilderflut publik wird. Armut ist ein Thema, auch in der Eifel. d.schommer@volksfreund.deExtra Die Schuldner-Beratung des Caritasverbands Westeifel ist kostenlos und hat Zweigstellen in Bitburg und Prüm. 2007 wurden rund 230 Menschen kurzfristig beraten, 540 langfristig. Nur 40 Ratsuchende waren älter als 60 Jahre. Hauptursachen für die Überschuldung (Mehrfachnennungen möglich): wirtschaftliches Planungs-Defizit (knapp 60 Prozent), Arbeitslosigkeit (rund 40 Prozent), Armut (rund 30 Prozent) und Trennung/Scheidung (rund 30 Prozent). In rund 20 Prozent der Fälle wurde das Scheitern des außergerichtlichen Einigungsversuchs bescheinigt und Privatinsolvenz angemeldet.

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