Die mit dem Reißwolf tanzt

In Bitburg fanden in dieser Woche die Segelkunstflugtage statt. Um möglichst authentisch berichten zu können, machten die Teilnehmer der TV-Reporterin Denise Juchem das Angebot, mal mitzufliegen. Ein Erlebnis mit weit reichenden Folgen.

Mein Magen meldet sich. "Zeit zu frühstücken", knurrt er. Er ist der Erste, der an diesem Morgen mit mir spricht. Bis ich ihm diesen Wunsch erfülle, sollen jedoch noch mehrere Stunden vergehen. Reine Vorsichtsmaßnahme. Schließlich steht mein erster Segelkunstflug an. Mutig? Nein, bin ich nicht. Neugierig? Schon. Macht mir jemand ein verlockendes Angebot - nur anständige, versteht sich! - kann ich einfach nicht nein sagen. Ganz relaxt liegen die Segelkunstflieger neben dem Flugfeld in ihren Campingstühlen, es riecht nach Sonnencreme. Hin und wieder werfen sie einen Blick gen Himmel. Sie beobachten ihre Freunde, die Loopings, Drehungen und Sturzflüge absolvieren. "Das ist unser Flugzeug", sagt mein Pilot Jürgen Thies und zeigt auf einen weißen Segelflieger mit der Aufschrift "REISSWOLF". Was will mir dieser Name sagen?! "So, jetzt ziehen wir dir einen Fallschirm an", sagt Thies und zoppelt an mir herum. "Wenn wir rausmüssen, ziehst du einfach an dieser Lasche. Okay?" Wo sollen wir bitte rausmüssen? Statt diese Frage zu stellen, nicke ich und sage: "Klar, gar kein Problem." Ein großer Schritt und ich sitze im Flieger. Vorne, ganz so, als hätte ich hier das Kommando. Wieder wird an mir rumgezerrt - zwei Gurte sollen mich halten. "Das ist wichtig, wenn wir auf dem Rücken fliegen", sagt Thies. Ich lächle, innerlich sackt mein Herz tiefer und tiefer, runter auf Kniehöhe. Doch es gibt kein Zurück. Die Haube wird geschlossen. Ein letzter Blick nach draußen. Los geht's. Eine einmotorige Maschine zieht uns, und nach wenigen Sekunden schweben wir. Ein wunderschönes Gefühl. Dann die ersten Luftlöcher. Das ist doch schon Kunstflug genug, oder? Mein Pilot hockt ganz entspannt hinter mir und erklärt alle Instrumente. Viel interessanter finde ich jedoch den Zettel, der vor mir klebt: Leistungsabzeichen Bronze. Darunter Zeichnungen von verschiedenen Kunstflugübungen. Ich glaube, mir wird schon bei der Vorstellung schlecht. Dabei hängen wir immer noch am Seil hinter dem Motorflugzeug. War mein Pilot nicht mal Deutscher Vizemeister im Segelkunstflug? Dann hat er vermutlich noch viel mehr drauf als diese Bronze-Übungen. Rumms. Jetzt hat er die Verbindung gekappt. Von nun an sind wir auf uns gestellt. In 1200 Metern Höhe. Thies verschwendet keine Zeit. Er hat sich nicht nach oben schleppen lassen, um die Schönheit der Eifel von oben zu bewundern, sondern um zu demonstrieren, was Segelkunstflug ist. "Jetzt geht's los", sagt der Mann aus Oberweis. Damit auch die Zuschauer am Boden Bescheid wissen, schaukelt er zweimal mit den Tragflächen. Was dann passiert in Zeitraffer: "Jetzt machen wir eine gerissene Rolle rückwärts", kündigt Thies an. "Ooooh meeein Gooott!", kratzt es aus meiner Kehle. Bin wirklich ich das, die diese Geräusche von sich gibt? Es folgen noch viele Aaaaahs und Ooooohs. Es geht senkrecht nach oben, dann lassen wir uns rückwärts fallen. In Rückenlage überschlagen wir uns. Senkrecht nach unten, es folgt eine viertel Rolle rechts, ein dreiviertel Looping, eine viertel Rolle rechts. Was mache ich hier überhaupt?

Wo bin ich? Wer bin ich? Was mache ich hier? Während mir all diese existenziellen Fragen durch den Kopf schießen, wirken Kräfte auf meinen Körper, von denen ich gar nicht wusste, dass es sie gibt. Mein Gesicht fühlt sich an, als bekäme ich ein kostenloses Lifting verpasst. Aus meinen 50 Kilo Gewicht werden plötzlich locker 250 Kilo. Zwischen Faszination und Panik - doch jetzt reicht's. "Könnten wir nicht mal ein bisschen normal fliegen?", frage ich. Thies versucht, mich noch zu einem "einfachen Looping" zu überreden, doch ich will nicht mehr. Mein Magen auch nicht. Wir drehen noch ein paar Runden über das Bitburger Land, doch ich will nur noch runter. Ein paar Minuten später habe ich wieder festen Boden unter den Füßen. Meine Beine schlottern. Erst Stunden später traut sich das Blut wieder zurück ins Gesicht, das Kalkweiß flüchtet. Nur nachts im Bett, da fliege ich noch weiter. Denise Juchem

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