Zu Unrecht im US-Gefängnis? Eifelerin kämpft für das "German Monster"

Bitburg/Lynchburg · Der Deutsche Jens Söring sitzt seit 31 Jahren in US-Haft, weil er die Eltern seiner damaligen Freundin umgebracht haben soll. Die Bitburgerin Bernadette Faber aber glaubt an seine Unschuld. Sie hat ihr Leben dem Kampf für seine Freilassung gewidmet. Und sie war noch nie so kurz davor ihn zu gewinnen.

 Seit 31 Jahren in Haft: Jens Söring hat fast zwei Drittel seines Lebens in einem Gefängnis im US-Bundesstaat Virginia verbracht. Er behauptet nach wie vor, dass er unschuldig an dem Doppelmord ist, der ihm zur Last gelegt wird. Fast alle Fotos, die im Artikel verwendet werden, stammen aus der Dokumentation „Das Versprechen“ von Journalistin Karin Steinberger und dem Filmemacher Ulf Meyer. Fotos (5): „Das Versprechen“ Filmperspektive GmbH

Seit 31 Jahren in Haft: Jens Söring hat fast zwei Drittel seines Lebens in einem Gefängnis im US-Bundesstaat Virginia verbracht. Er behauptet nach wie vor, dass er unschuldig an dem Doppelmord ist, der ihm zur Last gelegt wird. Fast alle Fotos, die im Artikel verwendet werden, stammen aus der Dokumentation „Das Versprechen“ von Journalistin Karin Steinberger und dem Filmemacher Ulf Meyer. Fotos (5): „Das Versprechen“ Filmperspektive GmbH

Foto: (e_eifel )

Nancy Haysom liegt tot in ihrer Villa, Blut klebt im Morgenmantel. Daneben, im Türrahmen: ihr Mann Derek. Beide Körper sind übersäht mit dutzenden Messerstichen, die Kehlen aufgeschnitten - von Ohr zu Ohr. "Es war, als ginge man in ein Schlachthaus", wird Ermittler Chuck Reid den Tatort später beschreiben. Der Polizist gehört zu denjenigen, die am 30. März 1985 als erste zum Tatort in Lynchburg (Virginia) gerufen werden. Die "Haysom murders", wie sie in den amerikanischen Medien genannt werden, sind eines der brutalsten Verbrechen in der Geschichte des US-Bundesstaates. Aber nicht nur deshalb wird nach wie vor über den Fall gesprochen - sondern vor allem wegen Jens Söring.

Der Bonner sitzt seit 31 Jahren im Gefängnis für diesen Doppelmord, den er nicht begangen haben will. Die wahre Täterin sei seine Ex-Freundin Elizabeth, die Tochter der Haysoms. Glaubt man ihm, hat es sich folgendermaßen zugetragen:

Es ist zwei Uhr morgens in der Tatnacht, als es plötzlich an Sörings Hotelzimmertür klopft. Als er öffnet, steht Elizabeth vor ihm, Angst in den Augen, Blut an den Armen. "Ich habe sie getötet", sagt sie, "die Drogen sind schuld." Während er sie tröstet, reift ein Plan im Kopf des 18-Jährigen: Er will Elizabeth' Held sein, seine erste Freundin vor dem elektrischen Stuhl retten. Also beschließt er, für sie ein falsches Geständnis abzulegen. Also bekennt er sich des Doppelmordes schuldig. Er tut es aus Liebe, aber auch, weil er denkt, dass er als Sohn des deutschen Diplomaten Klaus Söring Immunität genieße, dass er bald ohnehin wieder frei komme. Doch das entpuppt sich als Irrtum: Vor Gericht widerruft er zwar seine Aussage. Elizabeth, der zuerst der Prozess gemacht wird, präsentiert im Verfahren aber ihre ganz eigene Version: Sie habe Söring zum Mord angestiftet. Er habe ihn aber ausgeführt. Die Jury glaubt ihr und spricht den jungen Mannschuldig. Er bekommt zweimal lebenslänglich. Das heißt: Der Deutsche wird das Gefängnis womöglich nie wieder verlassen.

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Rund 6500 Kilometer östlich sitzt die Bitburgerin Bernadette Faber in ihrem Wohnzimmer. Auf dem Couchtisch liegt ein Buch von Söring. Faber weiß heute noch genau, wie sie auf seine Geschichte aufmerksam geworden ist: Das erste Mal gehört von ihm habe sie in einer Reportage im ZDF. "Ein einschneidendes Erlebnis", erinnert sie sich. Denn vier Monate später hätten dieser Mensch und seine Biografie sie noch immer nicht losgelassen. "Bei solchem Unrecht muss man doch etwas tun." Sie spricht langsam, mit sanfter Stimme - wie die Religionslehrerin, die sie ist. Hinter ihren Brillengläsern liegen warme, braune Augen.

Seit zehn Jahren kämpft sie nun schon für die Freilassung Sörings. Aus der Eifel koordiniert sie ein ganzes Netzwerk von Unterstützern, das sich quer über den Globus erstreckt: den Freundeskreis Jens Söring. Ihr Engagement sei "ein zweiter Vollzeitjob, der beginnt, wenn die Schule endet", sagt sie. Immer wieder startet Faber zusammen mit Helfern auf der ganzen Welt Petitionen, sammelt Unterschriften, schreibt Gesuche an Behörden. Sogar Bundeskanzlerin Angela Merkel hat der Freundeskreis dazu bewegen können den Fall bei Ex-Präsident Obama anzusprechen.

Doch Söring sitzt weiter in Haft, obwohl er selbst etliche Anträge auf Bewährung oder eine Überstellung nach Deutschland eingereicht hat. In Virginia bleibt er das "German Monster", wie amerikanische Zeitungen seinerzeit titelten. Für Faber hingegen ist er "eine starke Persönlichkeit, ein großes Vorbild, weil er den Kampf nicht aufgibt." Dass dieser mitunter frustriend sein kann, weiß sie aus eigener Erfahrung. Denn immer wieder hofft sie und wird enttäuscht. Aber gerade jetzt schöpft sie neuen Mut.

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Zurück in Virginia: Auf dem Schreibtisch von Terry McAuliffe, Gouverneur des Bundesstaates, liegt seit August 2016 ein Brief von Sörings Anwalt Steve Rosenfield. Er fordert ein "full pardon". Was das bedeutet? Faber erklärt es so: "Das ist keine Begnadigung." Wer Gnade bekomme, dem würden seine Taten vergeben. Söring habe sich ja nichts zuschulden kommen lassen. Er verlangt seine Freilassung und eine offizielle Unschuldserklärung des Bundesstaates, sozusagen eine Entschuldigung. Und damit könne er sogar Erfolg haben, glaubt die Eifelerin. Denn 2016 sind neue Beweise aufgetaucht. Genauer: zwei alte Blutproben wurden erneut untersucht. Die Ironie: 85 sorgten ebendiese Proben mit dafür, dass Söring verurteilt wurde. Jetzt könnten sie zu seiner Entlassung führen. Denn die Blutgruppe stimmt zwar mit der des heute 50-Jährigen überein, nicht aber die DNA. In den Achtzigern war die Wissenschaft noch nicht weit genug, um Derartiges zutage zu fördern. Kürzlich ergab ein Test, dass das Blut von zwei unbekannten Männern stammt.

Und damit nicht genug. Jetzt hat auch ein anerkannter Sheriff Virginias, Chip Harding, öffentlich ausgesagt, dass er Söring für unschuldig hält. Zu diesem Ergebnis kam er, nachdem er sich über Monate die Akten zum Fall angesehen hat. Auch Faber hat sie alle gelesen. Tausende Seiten Gutachten und Polizeiberichte stehen in ihren Regalen. Sie kennt jedes noch so kleine Detail, jeden Verfahrensfehler. Sie weiß, dass der Richter ein Freund der Haysoms war, der Sockenabdruck am Tatort nicht zu Sörings Fuß passt. Und auch der verschwundene Bericht des Profilers, der den Deutschen entlastet, ist ihr bekannt. Gerade weil sie solche Einblicke habe, glaube sie auch so stark an Sörings Unschuld, sagt sie.

Und wenn sich nun doch herausstellen sollte, dass der Bonner die Tat begangen hat? "Ausgeschlossen", sagt sie, "die Fakten sprechen dagegen." Außerdem kennt sie Söring persönlich, hat ihm schon Auge in Auge gegenübergestanden. Jede Woche schreibt sie ihm Briefe, schon fünfmal hat sie ihn im Gefängnis besucht. "Wir sind für ihn zur Familie geworden", sagt die Lehrerin, die ihn stets bei seinem Vornamen Jens nennt. Sie will, dass er nach Hause kommt, nach Deutschland. Und er wolle das auch, sagt sie.

Sollte er also wirklich freikommen, würde sie sofort zum Flughafen fahren. "Er würde hier sofort andocken", glaubt sie, "so ein Mensch ist er." Er ist aber auch ein Mensch, der seit Jahrzehnten kein Fenster mehr öffnen, keine Gabel mehr in der Hand halten durfte. Der noch nie ein Handy in der Hand gehabt, noch nie im Internet gesurft hat. "Es wird viel Zeit kosten, ihn zurück ins Leben zu bringen", gibt Faber zu. Aber diese Zeit würde sie sich gerne nehmen.
Weitere Infos über den Fall finden Sie auf der Homepage des Freundeskreises Jens Söring unter: www.jenssoering.deExtra: CHRONOLOGIE DES FALLS

 Mit mehreren Messerstichen ermordet: die Opfer Derek und Nancy Haysom. Das rechte Bild zeigt den Tatort, die Villa des Ehepaars in Lynchburg, Virginia.

Mit mehreren Messerstichen ermordet: die Opfer Derek und Nancy Haysom. Das rechte Bild zeigt den Tatort, die Villa des Ehepaars in Lynchburg, Virginia.

Foto: (e_eifel )
 Der 18-jährige Söring während der Verhandlung.

Der 18-jährige Söring während der Verhandlung.

Foto: (e_eifel )
 Sie hat ihr Leben dem Kampf um Sörings Freiheit gewidmet: Bernadette Faber. Foto: Privat

Sie hat ihr Leben dem Kampf um Sörings Freiheit gewidmet: Bernadette Faber. Foto: Privat

Foto: (e_bit )
Zu Unrecht im US-Gefängnis? Eifelerin kämpft für das "German Monster"
Foto: (e_eifel )
 Erste Liebe und „größter Fehler“: Ist Sörings Ex-Freundin Elizabeth Haysom die wahre Täterin?

Erste Liebe und „größter Fehler“: Ist Sörings Ex-Freundin Elizabeth Haysom die wahre Täterin?

Foto: (e_eifel )


Dezember 1984: Elizabeth Haysom und Jens Söring lernen sich an der Universität von Virginia kennen und werden ein Paar. Haysom ist die erste Freundin des 18-jährigen Diplomatensohns, der durch ein Stipendium an der Hochschule ist.

Februar 1985: Jens trifft Derek und Nancy Haysom zu einem Mittagessen. Es ist sein einziges Treffen mit Elizabeths Eltern.

30. März 1985: Derek und Nancy Haysom werden in ihrer Villa in Lynchburg ermordet.

3. April 1985: Annie Massie, Nancy Haysoms beste Freundin, entdeckt die Leichen. Die Polizei nimmt Ermittlungen auf.

12. und 13. Oktober 1985: Elizabeth und Jens fliehen aus den USA über Asien nach London.

April-Juni 1986: Die beiden werden in der britischen Hauptstadt wegen Checkbetrugs verhaftet. Bald darauf werden sie zu den Morden verhört. Elizabeth und Jens legen beide ein Geständnis ab.

August-Oktober 1987: Nach ihrer Auslieferung in die USA wird Elizabeth der Prozess gemacht. Ihre Aussage: Sie habe Söring zum Mord an ihren Eltern angestiftet. Dafür wird sie zu 90 Jahren Haft verurteilt.

Januar 1990: Söring wird in die USA ausgeliefert. Unter der Bedingung, dass die Todesstrafe nicht verhängt wird.
21. Juni 1990: Nach drei Wochen Prozess spricht die Jury den Deutschen schuldig an den "Haysom murders". Söring hatte sein Geständnis während der Verhandlung widerrufen - doch die Jury blieb unbeeindruckt. Die Strafe: Zweimal lebenslänglich.

Januar 2010: Timothy Kaine, damaliger Gouverneur von Virginia, stimmt einer Haftüberstellung Sörings in die Bundesrepublik zu. Nach deutschem Gesetz hätte er das Gefängnis nach zwei Jahren als freier Mann verlassen dürfen. Doch es kommt anders. Sein republikanischer Nachfolger, Bob McDonnell, nimmt die Entscheidung an seinem ersten Tag im Amt zurück.

Juni 2012: 54 Abgeordnete des Deutschen Bundestages wenden sich an Ex-Gouverneur Robert McDonnell. Sie bitten erneut darum Söring nach Deutschland zu überstellen. Eine Antwort bleibt er bis heute schuldig.

Juli 2016: Blutproben vom Tatort werden erneut untersucht. Das Ergebnis: Sie stammen weder von Söring noch von seiner Ex-Freundin, sondern von zwei unbekannten Männern.

August 2016: Sörings Anwalt Steve Rosenfield fordert Gouverneur Terence McAuliffe auf, seinem Mandanten ein "full pardon" zu gewähren.

16. November 2016: Chuck Reid, leitender Ermittler im Fall, schließt sich der Bitte von Rosenfield an. Auch er schreibt einen Brief an den Gouverneur. Darin nimmt er Bezug auf ein FBI Täterprofil, das keinen Eingang in die Verhandlung fand.

3. Mai 2017: Auch Chip Harding, Sheriff von Albemarle County, fordert ein "pardon" für Söring. Er verfasst einen 19-seitigen Bericht, nachdem er monatelang den Haysom-Fall untersucht hat.

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