Ein Herz für Sütterlin

NEUHEILENBACH. Eine fast vergessene Schrift ist der Lebensmittelpunkt von Trude Neumann: In Sütterlin schreibt die 73-jährige Rentnerin Geschichten und Gedichte. Ein Band ist veröffentlicht, ein zweiter in Arbeit.

 Geschichten und Gedichte schreiben: der neue Lebensinhalt von Trude Neumann.Foto: Rudolf Höser

Geschichten und Gedichte schreiben: der neue Lebensinhalt von Trude Neumann.Foto: Rudolf Höser

"Mutter Neumann" - so dürfen ihre Freunde und Bekannte sie nennen. Geschäftsfrau war sie und hat mit ihrem Mann eine Spedition geleitet. "Da gab es jeden Tag Dutzende von Herausforderungen, Beschäftigung fast rund um die Uhr", erinnert sie sich.

Doch das ist für Trude Neumann aus Neuheilenbach Vergangenheit. Der Tod des Mannes und der Rückzug aus der Geschäftswelt brachten eine völlig neue Lebenssituation. Aber Leere und Trübsal liegen der lebenslustigen Rheinländerin nicht. Die 73-Jährige beschäftigt sich ganz intensiv mit ihrem Hobby, aus dem inzwischen schon mehr geworden ist. "Eine Art Lebensinhalt", sagt sie. Denn sie kann sich einen Tagesablauf ohne Schreiben von Geschichten und Gedichten kaum noch vorstellen.

Schon früh am Morgen sitzt sie an ihrem Schreibtisch. "Vielleicht ist mir kurz vorher beim Spülen oder Aufräumen eine Idee gekommen, über die ich noch nicht geschrieben habe", erklärt sie. Es sind Geschichten aus ihren Leben. "Ich bin von Grund auf optimistisch. Sich an den kleinen Dingen freuen zu können, das macht das Leben auch im Alter lebenswert", rät Trude Neumann in ihren Texten. Und die haben eine ganz besondere Eigenschaft: Sie sind in Sütterlin geschrieben. Die Sütterlinschrift ist eine von dem Berliner Grafiker Sütterlin (1865-1917) geschaffene Schreibschrift, die von 1915 bis etwa 1940 in deutschen Schulen gelehrt wurde. Sie wird auch die "deutsche Schrift"genannt. Die Schrift ist eine Standardform der zuvor üblichen verschiedenen Kanzleischriften. "Wer noch der älteren Generation angehört, kann oftmals gar nicht anders schreiben.

Spätestens, wenn alte Familienurkunden hervorgeholt werden oder Kirchenbücher und Urkunden gelesen werden müssen, ist die Kenntnis dieser Schrift unbedingt nötig", weiß Trude Neumann. Deshalb hat sie auch eine klare Forderung an die moderne Gesellschaft: "Damit die Schrift Sütterlin nicht völlig untergeht und in ein paar Jahren sie niemand mehr lesen und schreiben kann, muss sie wieder in der Schule gelehrt werden", verlangt sie.

Zum Erhalt der Sprache hat sie sich dem Verein "Brieffreundschaften in Kurrentschrift" angeschlossen. Eifrig unterhält sie hier den Briefkontakt mit Menschen in ganz Deutschland.

Auch in die "normale" Schrift wird übersetzt

Damit auch die Mitmenschen an ihrem Glück teilhaben können, hat sie ihr Wirken in einem ersten Band veröffentlicht. Hier stehen die Geschichten und Gedichte zum einen in formschöner Sütterlin-Schrift und für alle, die diese nicht beherrschen, in "normaler" Schrift. Auf den Schmuckband ist sie besonders stolz. Aktuell kommen fünf Heftchen ihres Wirkens auf den Markt.

Ans Aufhören denkt Trude Neumann noch lange nicht. "Die geistige Anstrengung hält mein Gehirn auf Trapp. Das ist so wichtig wie funktionierende Arme und Beine. Der zweite Band ist in Arbeit und wird nicht mehr lange auf sich warten lassen", sagt sie.

Interesse an den Arbeiten von Trude Neumann? Sie ist erreichbar unter Telefon 06563/ 8329 oder Mail trude@farfarello.de

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