Faszination Irrsinn

GEMÜND. Mitten im Nationalpark Eifel liegt Vogelsang – eine von drei "Ordensburgen" für den NS-Führungsnachwuchs und in den vergangenen sechs Jahrzehnten Truppenübungsplatz der belgischen Armee (der TV berichtete). Seit Januar ist das Gelände frei zugänglich. Unser Mitarbeiter Fritz-Peter Linden hat sich dort umgesehen.

Vogelsang: derzeit unbestreitbar der große Anziehungspunkt im Nationalpark Eifel. Die ehemalige Nazi-Kaderschmiede überschattet den Park - und das nicht allein wegen ihrer schieren Ausmaße. Seit der Eröffnung am 1. Januar sind Tausende zur früheren "Ordensburg" gekommen - und ja, es waren auch einschlägige Pilger dabei: "Da kam so ein Glatzkopf die Treppe hochgestiefelt", berichtet ein Besucher. "Mit Hund an der Leine und Tränen in den Augen." Dennoch sieht man im "Forum", dem Besucherzentrum, die Sache gelassen: Bislang habe sich noch niemand danebenbenommen, berichtet Birgit Linden von der Tourist-Information. Klar - kaum ein Ewiggestriger gebe sich zu erkennen. Aber die Mitarbeiter haben für alle Fälle die Telefonnummer der Polizei in der Tasche. Vielleicht sollte man wirklich nur im Winter nach Vogelsang kommen: Damit man der Faszination der Nazi-Architektur mit der entsprechenden Unterkühltheit begegnen kann. Denn: Vogelsang beeindruckt, man kann sich nicht dagegen wehren und versucht sich mit dem Aspekt des Verbotenen herauszureden. Tatsächlich aber ist man nur der Inszenierung auf den Leim gegangen: Was Architekt Clemens Klotz hier vor 70 Jahren plante - es wirkt noch immer. Dabei ist der Komplex stilistisch eine wilde Mischung: Von antik bis germanisch anmutend wurde hier fast alles vermengt. Man findet Bauten, die nahezu anheimelnd wirken, andere dagegen sind düster und abweisend. Der Eindruck jedoch, der sich aus perfekt platzierten Gebäuden und traumhafter Eifellandschaft ergibt, ist schlicht überwältigend. "Wenn du da oben stehst", hat ein ideologisch unverdächtiger Besucher einmal gesagt, "dann hast du das Gefühl, du könntest die Welt beherrschen." Die Zeit, als die Deutschen die Welt beherrschen wollten, ist vorbei. Heute geht es darum, die Altlast in den Griff zu bekommen. Die Parkverwaltung wird hier oben einziehen, ein Europazentrum für die Jugend soll entstehen. Eine Münchener Agentur hat kürzlich ein Konzept vorgelegt, das eine Reihe bemerkenswerter Ideen enthält, mit Ausstellungen zur Eifel, zum Nationalpark und zur NS-Vergangenheit. Bis 2008 soll alles eingerichtet sein, zum Preis von etwa 28 Millionen Euro. Andere Vorschläge sind von zweifelhafter Wirkung: So soll Vogelsang das Buchstabenkürzel "ip" als Anhängsel erhalten. Keiner weiß so recht, wofür es stehen soll, und deshalb kann man viele Witze darüber machen: "ip" - "ist plemplem", sagen die Eifeler. Mit Parksprecher Michael Lammertz stiefeln wir hinauf in den Turm. 170 schmale Stufen, 42 Meter Höhe, auf halber Höhe der frühere "Kultraum". Hier ist es mit der Faszination vorbei. Stattdessen schwankt man zwischen Schaudern und Grinsen über das Germanen-Geschwurbel. Erst von oben erkennt man, welch gewaltige Ausmaße die Anlage hat - und wie brutal sie in die Eifellandschaft geprügelt wurde. Architekt Klotz hat wahrhaftig nicht gekleckert. Risenhafter Herrenmensch

Mickrig hingegen wirkt der steinerne Fackelträger Adolf Hitlers auf dem "Sonnenwendplatz". Später schauen wir uns den riesenhaften Herrenmenschen aus der Nähe an: Sein bestes Stück ist weggemeißelt. So kann er natürlich schlecht das "Licht des Geistes" vorantragen, wie die Inschrift daneben einst forderte. Auf einer Anhöhe erkennt man die Silhouette eines Dorfs: Wollseifen. Nach dem Krieg lebten hier rund 550 Menschen. Dann kamen die britischen Besatzer und gaben ihnen drei Wochen Zeit, um ihre Heimat zu verlassen und sich eine neue Bleibe zu suchen. Wollseifen war Sperrgebiet: Erst die Engländer, ab 1946 probten die Belgier dort den Häuserkampf. Auch mit Panzern nahmen sie den Ort ins Visier: "Die haben von Elsenborn aus hier rübergeschossen", berichtet Michael Lammertz. Der Truppenübungsplatz Elsenborn liegt auf belgischer Seite, die Geschosse flogen über die Eifeldörfer hinweg. Wollseifen wurde sechs Jahrzehnte lang zerstört und neu aufgebaut. Seine "Häuser" sind nackte Rohbauten mit glaslosen Fensterlöchern. Nur Kirche und Schule sind, allerdings entkernt, erhalten geblieben. Der Winterwind treibt den Schnee zwischen den Ruinen hindurch. Wollseifen ist ein trauriger Ort - aber am Schicksal seiner Bewohner sind nicht die Engländer oder Belgier schuld. Das haben andere besiegelt. Vogelsang ist täglich von 10 Uhr bis 16.30 Uhr geöffnet. Der Eintritt ist kostenlos. Internet: www.nationalpark-eifel.de; www.serviceagentur-vogelsang.de. gel/bru

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