Fotograf gelangt an seltene Bilder aus der Nazi-Zeit in Bitburg

Bitburg · Ein dunkles Kapitel der deutschen Geschichte und damit auch der Kreisstadt: Stephan Garçon, Fotograf und Mitglied im Arbeitskreis Gedenken, sammelt Dokumente zum Dritten Reich in Bitburg. Dem TV zeigt er bislang unveröffentlichte Fotos und erzählt, wie sie in seine Hände gefallen sind - obwohl sie eigentlich keiner sehen sollte: Jemand hatte sie in den 50er Jahren auf einer Müllkippe entsorgt.

Fotograf gelangt an seltene Bilder aus der Nazi-Zeit in Bitburg
Foto: (e_bit )

Bitburg. Es sind Bilder, die der Öffentlichkeit jahrzehntelang verborgen geblieben sind. Die Geschichte, die sie erzählen, kennt die ganze Welt: die Geschichte von Hakenkreuz und Hitlergruß, von Gleichschaltung und Völkermord. Die Fotos, in deren Besitz Stephan Garçon ist, schließen trotzdem eine Lücke: "Es sind die fast einzigen Bilddokumente, die belegen, dass es in Bitburg eine große Veranstaltung der NSDAP gegeben hat." Und sie zeigen, dass die Eifelstadt "eine Stadt war wie alle anderen Städte auch zur Zeit des Nationalsozialismus", sagt er. "Nicht besser und nicht schlechter." Und gewiss "kein Hort der Glückseligkeit".

Die Innenstadt geschmückt mit SS-Zeichen und Hakenkreuzfahnen, ein Aufmarsch des Reichsarbeitsdienstes, Hunderte junge Bitburger beim Hitlergruß: Garçons bisherige Forschungen, immer wieder auch in enger Zusammenarbeit mit Kreismuseumsleiter Burkhard Kaufmann, deuten darauf hin, dass die Fotos am Kreisparteitag der NSDAP im Jahr 1937 entstanden sind. "Wir haben viele Berichte über die Zerstörung Bitburgs", sagt er. Aber aus der Zeit zwischen 1933 und 1944/45 sei kaum Material vorhanden.

Umso wertvoller ist dieser Fund: Wer die Fotos gemacht hat, weiß er nicht. Doch sie sind Garçon in die Hände gefallen, der sich neben seiner Tätigkeit im Arbeitskreis Gedenken für die Erhaltung solcher Dokumente einsetzt (siehe Extra) - und das kam so, erzählt er: Ein Anruf, von einem Unternehmer aus der Region, weil er, Garçon, ja auch Fotograf sei - ob er sich nicht einmal ein paar Negative anschauen wolle. Der Mann hatte sie, wie er ihm erzählte, als 15-Jähriger in den 50er Jahren auf einer Müllkippe im Mötscher Wald - "wo heute der Grillplatz ist" - entdeckt, an sich genommen und aufbewahrt. "Und jetzt, viele Jahre später, mir übergeben", erzählt Garçon. "Ich wusste sofort, was ich da sehe."

Doch auch Garçon hielt sie zunächst unter Verschluss, arbeitete nur mit seinen Kollegen vom Arbeitskreis an der Entschlüsselung. "Es geht uns nicht darum, Täter ans Licht zu zerren oder an den Pranger zu stellen", sagt er. "Es geht um die Opfer. Ihnen ist ihre letzte Ehre noch nicht erwiesen worden. Deshalb machen wir diese Arbeit." Dass Garçon sie nun doch den Menschen zeigen will, hat mit der historischen Ausstellung im Haus Beda zu tun, die gerade zu Ende ging (der TV berichtete) - und dem Mut von Stadtarchivar Dr. Peter Neu: "Er hat dort unverblümt Bilder einer SA-Veranstaltung in Bitburg veröffentlicht - im Jubiläumsjahr." Der Moment, in dem Garçon versteht: "Er hat recht: Das Kapitel gehört mit dazu."

Garçon will jetzt die ganze Geschichte der Fotos erforschen: welche Parteieinheit zu sehen und was genau an diesem Tag geschehen ist. Bei den Bildern handelt es sich um sechs einzelne Negative in bester Qualität - dafür, dass sie jemand auf einer Müllkippe entsorgen wollte. Aber dort gehören sie für Garçon nicht hin - auch wenn es anstrengend sei, sich mit dem Thema zu beschäftigen. Er hofft auf Unterstützung von den Bitburgern. "Es ist ein natürlicher Instinkt, mit dem Schatten der Vergangenheit abschließen zu wollen", sagt er. Aber die Bereitschaft, sich die Wahrheit anzuhören, hofft er, sei heute vielleicht größer.Meinung

Wissen nimmt Schrecken die Macht
Von den Nürnberger Prozessen bis zu "Schindlers Liste": Der Umgang mit dem Nationalsozialismus ist für uns zu einer eigenen Geschichte geworden. Die Vergangenheit bewältigen kann man nicht - das sagte auch einmal der frühere Bundespräsident Richard von Weizsäcker. Und er sagte auch: "Wer aber vor der Vergangenheit die Augen schließt, wird blind für die Gegenwart." Deshalb: ein Zufall, ja, aber ein guter, wie Stephan Garçon an diese Fotos gelangt ist. Ebenso wie die Entscheidung, sie einem breiten Publikum zugänglich zu machen. Denn wir sollten die Vergangenheit nicht aus den Augen verlieren und die wenigen, gerade regionalen Zeugnisse achten, die uns geblieben sind. Damit sie dem, woran sie uns erinnern, die Macht nehmen. e.blaedel@volksfreund.deExtra

Fotograf gelangt an seltene Bilder aus der Nazi-Zeit in Bitburg
Foto: (e_bit )
Fotograf gelangt an seltene Bilder aus der Nazi-Zeit in Bitburg
Foto: ("e_bit" )

Auf Beschluss des Stadtrates und mit Unterstützung des Kreismuseumsleiters Burkhard Kaufmann sammelt der Arbeitskreis Gedenken Dokumente aus dem Dritten Reich und leistet Erinnerungsarbeit. Der Schwerpunkt liegt auf der Geschichte der Bitburger Juden, der Zwangsarbeiter und der Kriegsgefangenen. Mit 51 Jahren sei er der Jüngste in der Gruppe, sagt Stephan Garçon. Außerdem: "Die Zeitzeugen sind mittlerweile gestorben, die Kinder kümmern sich um die Nachlässe, und wir müssen den Erben klar machen: Vielleicht gibt es Dinge, die wichtig sind für unsere Geschichte", sagt er. Er wolle deshalb noch mehr Menschen erreichen, vor allem junge - und so hat er vor kurzem die <b>Facebook-Seite "Bitburg Fotos Archiv" ins Leben gerufen, die er betreut. Dort veröffentlicht er historische Bilder und ruft andere auf, selbst Fotos einzustellen. "Keiner muss ins Archiv oder in die Bibliothek gehen, um sich über die eigene Geschichte zu informieren", sagt er. "Nur ins Netz." eib Kontakt: Stephan Garçon, Telefon 06561/67639.

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