"Gegen die eigene Weltanschauung"

Überraschender Antrag: Weil ein Eifeler aus der katholischen Kirche ausgetreten ist, fordert er, dass das Kreuz im Bitburger Amtsgericht während seiner Verhandlung abgehängt wird. Der Behördenleiter lehnt das jedoch strikt ab.

Bitburg. Seit 25 Jahren ist Werner von Schichau mittlerweile Direktor des Amtsgerichts Bitburg. Auch nach einem Vierteljahrhundert erlebt er als Behördenleiter immer noch Überraschungen und Premieren. Beispielsweise der Antrag auf Abhängen des Kreuzes in einem Sitzungssaal. Der wurde kürzlich von einem Mann gestellt, der wegen einer Scheidungsvorverhandlung vor Gericht erscheinen sollte. Solange jedoch in dem Verhandlungssaal ein Kreuz hängt, werde er diesen nicht betreten. Seine Begründung: er sei aus der katholischen Kirche ausgetreten. "Der Zwang entgegen meiner eigenen religiösen Weltanschauung in einem Gerichtssaal, in dem ein Kreuz hängt, verhandeln zu müssen, verletzt das Grundrecht", erklärt der Mann aus der Verbandsgemeinde Bitburg-Land. Von Schichau genügt das nicht: "Nur zu sagen, man sei aus der Kirche ausgetreten, reicht bei weitem nicht aus, damit ein Kreuz im Gericht abgehängt wird." Da müsse schon eine schwere Beeinträchtigung vorliegen.Der Antragsteller hat sich schlau gemacht und sieht sich im Recht. Schließlich hat er ein Urteil vom Bundesverfassungsgericht aus dem Jahre 1973 gefunden. In dem Fall wurde damals das Kreuz tatsächlich aus dem Gerichtssaal entfernt.Für den Direktor des Bitburger Amtsgericht hinkt dieser Vergleich mit dem Fall aus den 70-ern: "Damals ging es darum, dass das Kreuz mitten auf dem Richtertisch stand." Das letzte Wort liegt beim Behördenleiter

Der Richter und der Anwalt hätten sich damals kaum anschauen können. Zudem sei das Ganze etwas delikat gewesen, da sowohl der verhandelnde Anwalt als auch seine Mandantin Juden waren, die wegen einer Wiedergutmachung in Nordrhein-Westfalen vor Gericht gezogen waren."Laut dem Ministerpräsidenten und dem Justizminister ist der jeweilige Behördenleiter dafür verantwortlich, ob im Gericht Kruzifixe hängen. In dem Fall bin ich das. Und ich habe mit den Richtenkollegen beschlossen, dass die Kreuze hängen bleiben", erklärt von Schichau. In Trier war Ende 2006 ein Kruzifix-Streit entflammt, weil der Präsident des Trierer Landgerichts, Wolfgang Krämer, sich dafür entschieden hatte, nach Renovierungsarbeiten Kreuze nicht mehr aufhängen zu lassen.Nach von Schichaus Auffassung ist das Kreuz kein Zeichen für die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Kirche: "Vielmehr steht es für allgemein gültige, auch in anderen Religionen hoch geschätzte Werte." Mit einem solchen Antrag hat von Schichau in seiner langjährigen Laufbahn noch nicht zu tun gehabt. "Einmal fragte ich Muslime, ob sie kein Problem mit dem Kreuz hätten. Doch für die war das etwas ganz Selbstverständliches in Deutschland. Nur beim Eid legten sie noch zusätzlich die linke Hand auf den Koran", erzählt von Schichau. Der Mann aus der VG Bitburg-Land, der das Abhängen der Kreuze gefordert hat, ist mit seinem Antrag gescheitert. Da er nicht vor Gericht erschienen ist, gab es ein Versäumnisurteil. Geschlagen geben will er sich deswegen jedoch nicht. Gehören Kreuze in Gerichtssäle? Sind Sie wichtig oder überflüssig? Sind diese Symbole veraltet, oder sollten sie als Zeichen unserer Werte auch heute noch in Gerichten hängen? Was denken Sie darüber? Teilen Sie uns in knapper Form Ihre Meinung mit und mailen Sie uns bis Mittwoch, 12 Uhr, an eifel-echo@volksfreund.de. Wir veröffentlichen Ihre Meinungen im Trierischen Volksfreund. Meinung Die Komplexität des Gefühlten Die Trennung von Kirche und Staat ist eine Errungenschaft der Neuzeit und untrennbar mit der Entwicklung der modernen Demokratien verbunden. Theoretisch lassen sich beide Sphären gut auseinanderhalten. Je konkreter sich die Frage nach der Rolle von Glauben und Kirche in staatlichen Institutionen jedoch stellt, desto schwieriger wird die Trennung. Das Komplizierte an Fragen wie der, ob Kreuze in Gerichtssälen hängen sollen und wer entscheidet, wann diese abgenommen werden können oder müssen, ist, dass etwas Menschliches die Trennschärfe beeinträchtigt: die Emotionalität des Religiösen. Dies führt dazu, dass über den Umgang mit religiösen Symbolen im öffentlichen Raum im Allgemeinen und in staatlichen Einrichtungen im Besonderen mit Leidenschaft debattiert wird. Dabei ist nicht entscheidend, um welches Symbol, welche Religion es geht. Stets stehen sich zwei Lager nahezu unversöhnlich gegenüber - und dies mit Notwendigkeit: Denn es gibt kein halbwegs objektives Kriterium, auf das man sich in solchen Streitfällen stützen könnte. Das Argument von Amtsgerichts-Direktor Werner von Schichau, dass der Kirchenaustritt des Beschwerdeführers nicht reiche, um das Abhängen des Kreuzes zu begründen, wird der Komplexität der Sache nicht gerecht. Denn wer wollte einen Grenzwert festlegen, von dem an das emotionale Berührtsein hinreicht, um ein Symbol zeitweilig zu entfernen? So wird auch über die Kreuze im Bitburger Gericht ab heute anhaltend gestritten werden. l.ross@volksfreund.de

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