Gerichtsprozess: Schüler der Berufsbildenden Schule Bitburg fesseln Klassenkameraden an Stuhl und schubsen ihn um

Bitburg · Was für seine Mitschüler ein „derber Spaß“ war, das fand ein 16-jähriger Schüler der Berufsbildenden Schule Bitburg gar nicht witzig. Denn er wurde dabei auch noch am Knie verletzt: Zwei Mitschüler hatten ihn an einen Stuhl gefesselt und mit Schwung nach vorne umgeschubst. Das Amtsgericht Bitburg schickt sie ins pädagogische Wochenende.

Lautes Gelächter und Gegröle: Anstatt in ihrer Klasse die vom Lehrer angeordnete Stillarbeit zu erledigen, haben unbeaufsichtigte Schüler der Theobald-Simon-Schule Bitburg einen Kreis um einen ihrer Mitschüler gebildet. Ein größerer, älterer und stärkerer Berufsschüler hat seinen jüngsten Klassenkameraden mit Klebeband an einen Stuhl gefesselt. Plötzlich betritt ein weiterer Schüler den Klassenraum und schubst den auf den Stuhl gefesselten Jungen von hinten mit großem Schwung nach vorne um. Er landet mit großem Gepolter auf dem Boden des Klassenzimmers. Noch größeres Gelächter ertönt.
Dann endet die kurze Videosequenz, die ein Mitschüler von dem grausamen und erniedrigenden Moment aufgezeichnet hat, in dem zwei Schüler ihren Klassenkameraden fertigmachen.

Die Anklage: Dafür mussten sich der 18-Jährige und der 17-Jährige nun vor dem Amtsgericht Bitburg verantworten. Die Anklagepunkte: Freiheitsberaubung, Nötigung und Körperverletzung. Denn der 16-jährige Mitschüler, den die beiden vor den Augen der ganzen Klasse demütigten, wurde dabei am Knie verletzt und musste eine Woche krank zu Hause bleiben. Wegen diesem "derben Scherz", wie einer der Angeklagten die Tat bezeichnete, hat der Betroffene seine Klassenkameraden angezeigt.

Widersprüche: Doch auf der Zeugenbank vor Gericht konnte oder - wie Staatsanwalt Stephan Parent vermutet - wollte er sich dann zum Nachteil der Anklage nicht mehr so genau an den Tathergang erinnern und gegen seine Mitschüler aussagen. Seine Antworten - etwa: "Ich kann mich nicht mehr so genau erinnern, ob ich ‚Nein, ich will das nicht' gesagt habe" - machten Staatsanwalt Parent wütend. "Sie brauchen ihre Mitschüler jetzt hier nicht in Schutz zu nehmen", erklärte er dem Jungen, der erst nach und nach auspackte: "Die haben mir gesagt, dass sie nur Spaß machen würden. Aber ich fand das nicht mehr lustig." Er sei der jüngste Schüler in seiner Klasse und werde seit Jahren von seinen Mitschülern gemobbt, sagte er schließlich. "In der Klasse kann mich niemand leiden."

Dennoch hat er vor Gericht Probleme, seine Mitschüler zu belasten und schildert den Vorfall teils anders, als er ihn bei der Polizei zu Protokoll gegeben hat. Im Sitzungssaal kann er sich zum Beispiel nicht mehr genau erinnern, ob weitere Schüler an der Fesselaktion beteiligt waren, was er bei der Polizei behauptet hatte. Parent: "Sie wissen es ganz genau, wollen es nur nicht sagen." Auch die Aussage, "mir war es zu Beginn noch egal, an den Stuhl gefesselt zu werden", brachten Parent auf die Palme: "Im Polizeiprotokoll steht, Ihre Mitschüler hätten Sie angegriffen und gegen ihren Willen gefesselt." Jugendgerichtshelfer Hans Werner Nehren erklärt sich die widersprüchlichen und zögerlichen Aussagen so: "Er wollte zunächst nach außen den Anschein erwecken, dass er es lustig findet, an den Stuhl fixiert zu werden. Aber innerlich war ihm gar nicht zum Lachen zumute."

Aufzeichnungen: Neben der physischen Gewalt mobbten andere Mitschüler den Jungen, indem sie Videos und Bilder von dem Geschehen aufnahmen und über ihre Handys verschickten - auch an den Geschädigten selbst. "Dabei habe ich ihnen gesagt, sie sollen aufhören zu filmen."

Verteidigung: Die Verteidigung bemühte sich, den Vorfall als einen harmlosen Lausbubenstreich darzustellen. "Lassen wir doch mal die Kirche im Dorf", sagte Rechtsanwalt Thomas Kaden, "wenn ich mich an meine Schulzeit erinnere: Da wurden Mitschüler in die Mülltonne gesteckt - täglich."

Sanktion: Nehren meinte dagegen, der Vorfall sei nicht zu bagatellisieren. "Das ist ein typischer Fall von Mobbing." Immerhin entschuldigten sich die beiden Schüler bei dem Geschädigten. "Wir wollten ja niemanden verletzen", erklärte der 18-Jährige. Da Richter Udo May nicht aufklären konnte, welche Schüler noch an der Fesselaktion beteiligt waren und weitere Gerichtstermine angesichts des geringen körperlichen Schadens, einer Prellung am Knie, wohl unverhältnismäßig wären, stellte er das Verfahren auf Rat des Staatsanwaltes ein. Unter einer Bedingung: Die beiden Schüler müssen an einem pädagogischen Wochenende mit Workshops teilnehmen, an dem sie mit ihrem Fehlverhalten konfrontiert werden. May gab den beiden Schülern noch einen Rat mit auf den Weg: "Man muss nicht immer mitmachen, wenn andere Leute aufs Korn genommen werden. Ihr müsst lernen, euch dem Gruppenzwang entgegenzustellen."

Schule: Die Angelegenheit hat nicht nur das Gericht beschäftigt. "Wir haben den Vorfall auch in der Schule aufgearbeitet", erklärt Ralf Loskill, Schulleiter der Theobald-Simon Schule. "Wir haben Gespräche mit den Schülern, ihren Eltern sowie den Ausbildungsbetrieben geführt und Mahnungen ausgesprochen." Der Fall sei damit abgeschlossen. Loskill: "Zur Prävention und Hilfe haben wir mit unseren Klassenlehrern und unserer Schulsozialarbeiterin ein Unterstützungsnetz aufgebaut. Das schützt uns aber nicht vor allen Mobbingfällen."

EXTRA Mobbing in der Schule

Nur selten landen Fälle von Mobbing, wenn also Kinder ihre Klassenkameraden regelmäßig schikanieren, quälen und seelisch sowie körperlich verletzen, vor Gericht. "Das Thema gab es aber schon immer, das wurde nur nicht immer so genannt", sagt Werner Wallenfang, Schulleiter der Gesamtschule Bitburg. Regelmäßig besuchen Referenten die Gesamtschule, um Themen wie Cybermobbing mit den Schülern zu besprechen. Wallenfang: "Es gibt mittlerweile ein festes Programm zur Prävention."
Für die Lehrer und Schulsozialarbeiter werde es jedoch immer schwieriger, überhaupt dahinter zu kommen, wenn Schüler mobben, sagt Torben Wendland, Schulleiter der Bitburger Realschule plus. "Das läuft heutzutage meist über Whatsapp-Gruppen und die Handys der Schüler", erklärt Wendland. "Da werden dann zum Beispiel Schülern bestimmte sexuelle Vorlieben unterstellt, oder andere Sachen online direkt an unzählige Empfänger verbreitet", sagt Wendland. Fast jede Schulklasse habe mittlerweile ihre eigene Whatsapp-Gruppe. Wendland: "Deshalb sind Handys an unserer Schule verboten."
Mittlerweile herrsche an den Schulen insgesamt ein hohes Bewusstsein für Mobbing, meint Andreas Merzhäuser, Schulleiter des St.-Willibrord Gymnasiums. Merzhäuser: "Gravierende Fälle kommen immer ans Tageslicht. Meist spüren die Lehrer, wenn sich das Verhalten einzelner Schüler oder eines Klassenverbands ändert." Zur Aufarbeitung müssen die betroffenen Schüler des Gymnasiums dann eine Mobbingkarte malen, in der sie ihre "Feinde", wer greift mich an, und "Unterstützer", wer steht auf meiner Seite, einzeichnen. Merzhäuser: "Mit den Involvierten führen wir dann ein Gespräch, in dem wir möglichst zu einem Vertrag kommen wollen. Es geht also nicht um eine Verurteilung, sondern darum, auf eine Klärung hinzuwirken." cmo

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