"Ich wollte nie ein Sklave der Gesellschaft sein"

Bitburg · Er hat den Atlantik in einem Tretboot überquert, die äthiopische Danakil-Wüste durchwandert und sich alleine durch den tiefsten Regenwald gekämpft: Für Rüdiger Nehberg ist das Überleben in der Natur zu einer Droge geworden. Am 9. März kommt der Survivalexperte nach Bitburg.

Bitburg. Abenteurer, Menschenrechtler, Freigeist. Bereits mit vier Jahren büxte Rüdiger Nehberg von zu Hause aus, wollte mit 17 Schlangenbeschwörer werden und fuhr alleine mit dem Fahrrad durch Marokko. Mit 79 Jahren geht Nehberg es nun langsamer an. In seinem Vortrag "Querschnitt durch ein aufregendes Leben" wird er am Montag, 9. März, in der Stadthalle Bitburg auf Einladung des Activity Lions Club Bitburg-Beda Einblicke in sein bewegtes Leben geben. Vorab hat er TV-Redaktionsmitglied Monika Pradelok erzählt, was die Zuschauer erwartet, wie er zum Survivalexperten wurde und warum er Vorbereitungen für seinen Selbstmord getroffen hat. Survival ist für Sie fast zu einer Droge geworden. Was reizt sie am Abenteuer und der Isolation?Rüdiger Nehberg: Das ist die einzige Droge - neben Kaffee -, die ich in meinem Leben konsumiere. Die ist wenigstens Bio und von mir selber produziert. Ich weiß also, was ich zu mir nehme (lacht). Als ich in den 1960er Jahren das erste Mal von "Survival" hörte, wusste ich, dass diese Lebensdisziplin etwas für mich ist: die Kunst, in ausweglosen Situationen zu überleben, mich auf meine Urinstinkte zu verlassen. Wie jedes freilebende Tier. Das Leben heutzutage ist viel zu abgesichert und vorgegeben. Man verlässt sich auf andere, handelt nicht eigenständig. Das ist nichts für mich. Ich wollte beweisen, dass ich fernab der Zivilisation zurechtkomme - allein, wochenlang, ohne Ausrüstung und menschliche Hilfe. Ich wollte nie ein Sklave der Gesellschaft sein.Und das haben Sie mit vielen spektakulären Aktionen bewiesen. Allerdings waren Sie ja nicht nur um Ihrer selbst willen waghalsig.Nehberg: Sowohl als auch. Während meiner Reisen habe ich viel Unrecht gesehen. Deshalb bin ich froh, dass ich meine Leidenschaft am Abenteuer mit etwas Sinnvollem kombinieren konnte. Von 1980 bis 2000 setzte ich mich für die Yanomami-Indianer in Brasilien ein, die von illegalen Goldsuchern ausgerottet wurden. Ich wollte helfen, etwas zu verändern und dachte, dass ich das am besten mit außergewöhnlichen Aktionen bewerkstelligen kann. Also habe ich mich mit einem Marsch von 1000 Kilometern auf meinen Regenwaldaufenthalt bei den Yanomami vorbereitet - ohne Nahrung und ohne Ausrüstung! Und auch den Atlantik habe ich überquert. Dreimal. Zum Beispiel mit einem massiven Baumstamm. Auf dem Segel der Appell an Brasiliens Regierung. Als die Yanomami-Indianer im Jahr 2000 ihr Recht auf eigenes Land bekamen, hatte ich mein Ziel erreicht.Ihr Engagement endete mit diesem Erfolg aber nicht.Nehberg: Meine Frau Annette und ich haben 2000 die Menschenorganisation Target (auf Deutsch: Ziel, Anmerk. d. Red) gegründet, die sich gegen die weibliche Genitalverstümmelung einsetzt. Der Durchbruch gelang uns, als die höchsten Glaubensführer des Islams dem Brauch offiziell eine Absage erteilt und ihn als unvereinbar mit der Ethik des Islam erklärt haben. Denn die meisten Opfer sind Muslimas, und der Brauch wird falsch mit dem Koran gerechtfertigt. Doch ein Ende ist noch lange nicht in Sicht. In 35 Ländern, vor allem in Afrika, wird er weiterhin praktiziert.Das sind alles tiefgreifende Erlebnisse. Gibt es irgendetwas, das sich für immer in Ihr Gedächtnis eingebrannt hat?Nehberg: Das war der Tod meines Freundes Michael Teichmann. Er wurde 1975 vor meinen Augen erschossen. Damals bereisten wir den Blauen Nil. Den Horror werde ich niemals vergessen. Die Banditen eröffneten ohne Vorwarnung das Feuer. Dabei wollte Michael sie nur begrüßen. Als er ihnen den Rücken zukehrte, schossen sie ihm in den Kopf. Aber wir waren auch bewaffnet und entkamen. Die Mörder haben wir später gestellt.Wie häufig ist Ihnen der Tod noch begegnet?Nehberg: 26 bewaffnete Überfälle waren es bisher. Mit entsprechenden Vorbereitungen, Trainings und Glück bin ich immer wieder davongekommen. Ich habe einen zuverlässigen Schutzengel.Sie gehen es seit fast zwölf Jahren ein wenig ruhiger an. Sie schreiben, bauen in Äthiopien eine Frauenklinik, halten Vorträge. So auch am 9. März in Bitburg. Was erwartet die Zuschauer?Nehberg: Die Besucher erwarten Erzählungen über ein spannendes Leben, ein Krimi mit viel Ironie und Humor sowie eine Anleitung: Ich möchte denjenigen, die Spaß am abenteuerlichen Reisen haben, die nötige Inspiration geben. Viele träumen von Freiheit, sind aber an die Gesellschaft mit ihren vielen Vorschriften gebunden. Sie sollen sich ihrer Abenteuerlust hingeben und etwas wagen.Gibt es irgendetwas vor dem Rüdiger Nehberg Angst hat?Nehberg: Ich habe Angst, pflegebedürftig zu werden. Im Bett zu verrotten. Ich habe immer selbstbestimmt gelebt und will das auch bis zum Finale. Ich merke, dass die Kräfte nachlassen. Deshalb habe ich Vorkehrungen getroffen.Was für Vorkehrungen?Nehberg: Patientenverfügung, Waffe, Gift, Kohlenmonoxid - eine bunte Palette des Abschieds. Ich möchte nicht unter Qualen sterben. Kurz und schmerzlos soll es sein. Genau wie bei meinem Freund Michael.Extra

Rüdiger Nehberg ist am 4. Mai 1935 in Bielefeld geboren. Schon im Alter von vier Jahren bewies der spätere Survivalexperte, dass er nicht stillsitzen kann. Er büxte von zu Hause aus, um seine Oma zu besuchen und verirrte sich bei dem Versuch. Zwei Tage später brachte ihn die Polizei nach Hause. Gemeinsam mit seiner Frau Annette setzt er sich für Menschenrechte ein. mmp

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